Begegnung in Tiflis
Was haben Sie erreicht?«
»Nichts!«
»Wer soll Ihnen das glauben?«
»Wolfgang Wolter und ich, wir wollen heiraten.«
Einen Augenblick lang war es still in der Leitung. Dann hörte Irene ein patschendes Geräusch. An seinem Tisch in der sowjetischen Botschaft in Rolandseck klatschte Borokin in die Hände. Der Beifall eines Satans.
»Bravo, Schwänchen! Das ist gekonnt!« sagte er danach. »Mit Herz und Hand fürs Vaterland … Sie sind besser, als ich annahm.«
»Sie werden Ihre Informationen bekommen, und dann will ich Sie nie wiedersehen!« Irene umklammerte den Hörer. Aus ihren Augen liefen die Tränen, aber erst als sie über ihre Lippen rannen, merkte sie, daß sie weinte. »Lassen Sie mich doch in Ruhe, Borokin. Bitte, lassen Sie mich in Ruhe. Bitte!«
»Ihre Nerven scheinen nicht mehr die besten zu sein, Irene«, sagte Borokin mit Sorge in der Stimme. »Am besten ist, ich komme nachher einmal vorbei.«
»Nein!« schrie Irene. »Nein! Ich bin nicht da!«
»Wo sind Sie?«
»Wolfgang und ich gehen aus. Vielleicht in die Beethovenhalle. Vielleicht fahren wir auch nach Köln, ich weiß es noch nicht.«
»Dann also morgen, Irene.«
»Ja, morgen, Jurij Alexandrowitsch.«
Das Telefon fiel ihr aus der Hand, als Borokin auflegte.
Gleich kommt Wolfgang, dachte sie. Die Welt würde untergehen, wenn er und Borokin zusammenträfen. Wie gut, daß dieser vorher angerufen hatte.
Als Wolfgang Wolter in das kleine Appartement kam, schob er einen großen Rosenstrauß vor sich her, an dem ein kleines Päckchen hing. Ein kleines, viereckiges Kästchen, und Irene wußte, was darin war.
Die Ringe. Er meinte es ernst.
Irene Wolter würde sie bald heißen. Und die ganze verworfene Welt der Irene Brandes würde ausgelöscht sein.
Sie warf sich ihm an den Hals und umarmte ihn. »O Wolfgang«, schrie sie fast. »Sei lieb zu mir … sei immer lieb zu mir …« Und dann weinte sie haltlos, und Wolfgang hielt sie fest, streichelte ihren zuckenden Rücken, kam sich hilflos vor und glaubte, es sei unfaßbares Glück, das sie so erschütterte.
Dann saß er auf der Couch, hatte den Rock ausgezogen, denn es war ein schwüler Abend, Gewitter lag in der Luft und fahle Wolken schwebten über den Rhein heran, aus dem Radio erklang Tanzmusik, und Irene stand an einer kleinen klappbaren Hausbar und mixte aus Whisky, Cola und Zitronensaft unter Verwendung von viel Eis und Sodawasser einen Erfrischungstrank.
Niemand hörte, wie die Tür aufgeschlossen und wieder zugedrückt wurde, niemand sah, wie sich die Zimmertür bewegte und öffnete. Erst als der Mann halb im Zimmer stand, drehte sich Irene Brandes um. Das Glas, das sie Wolfgang Wolter bringen wollte, fiel aus ihren starren Fingern, zerschellte auf dem Teppich, und die Flüssigkeit spritzte weit durchs Zimmer, bis an die Hosenbeine des Mannes in der Tür.
»Na, na«, sagte Borokin freundlich. »Wird jeder Besucher beim Eintritt getauft?«
Wolter fuhr auf seiner Couch herum. Der Mann in der Tür lächelte ihm zu und nickte zum Gruß. Elegant sah er aus, braungebrannt und sportlich. Woher kenne ich ihn? dachte Wolter. Dieses Gesicht, ich habe es schon gesehen. Nicht in Natur – auf einem Bild … ja, gewiß … in der Mappe ›Sowjetisches Botschafts-Personal‹. Ein Paßfoto. Ich weiß es ganz genau. Es gibt gar keinen Irrtum, er ist ein Russe. Mein Gedächtnis hat noch nie versagt. Er gehört zur sowjetischen Botschaft.
»Wie kommen Sie herein?« fragte Irene tonlos.
»Gute Freunde haben immer einen Schlüssel.« Borokin hob einen Schlüsselbund hoch und ließ ihn klingeln. Lustig klang das, aber es war das Läuten aus der Hölle.
»Wer sind Sie?« fragte Wolter und musterte Borokin mit hartem Blick. »Warum dringen Sie hier ein? Wer hat Ihnen den Schlüssel gegeben?«
»Es ist eine Unart des Westens, immer so viel auf einmal zu fragen.« Borokin trat näher und schloß hinter sich die Tür. Irene stand wie versteinert neben der kleinen Hausbar.
Ich möchte sterben, dachte sie. Sterben … ich habe nichts mehr auf dieser Welt verloren.
»Es freut mich, Herr Wolter«, sagte Borokin mit seiner einschmeichelnden Stimme, »daß wir uns hier auf neutralem Boden so gemütlich treffen. Mein Name ist Jurij Alexandrowitsch Borokin.«
»Die Abwehr!« sagte Wolter hart.
»Nichts von Geschäften, lieber Oberleutnant.« Borokin winkte mit beiden Händen ab. »Im Boudoir einer schönen Frau ist es vielleicht allein möglich, daß Ost und West sich zusammensetzen und etwas
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