Begegnung in Tiflis
nichts von dir.«
»Oberleutnant.« Wolter lachte. »Aber wenn du gedacht hast, wir lägen auch im Bett mit strammer Haltung, dann hast du dich geirrt.«
»Du bist so schrecklich spöttisch, Wolf.« Sie maulte etwas und zog ihn an den blonden Haaren. »Wie kann man einen Menschen den man liebt, so behandeln?«
»Soll ich dich durchs Zimmer tragen, Elfchen?« fragte er fröhlich.
»Was tust du als Oberleutnant? Stehst du herum und kommandierst? Bildest du junge Soldaten aus?«
»Genau das, mein Prinzeßchen. Ich sorge dafür, daß Uniformen durchgeschwitzt werden und das Lied ›O du schöner Westerwald‹ besonders laut und zackig klingt. Und nun sei still, gib mir einen Kuß … der Morgen ist so schnell da. Sieh dir den Himmel an, er beginnt schon fahl zu werden.«
In dieser Nacht fragte Irene nicht mehr. Er hat mich belogen, dachte sie. Aber das ist sein gutes Recht. Wer bin ich denn? Ein Mädchen, das mit ihm in ein Hotel geht und zärtlich ist. Vielleicht ist es anders, wenn es mir gelingt, daß aus seiner Verliebtheit echte Liebe wird.
Der Gedanke war bitter. Sie schämte sich und drängte sich an den Mann an ihrer Seite, um glücklich zu sein ohne zu denken.
Zwei Tage später kamen alle Vorsätze Irene Brandes' ins Wanken. Wolfgang Wolter holte sie von ihrer kleinen Wohnung ab, fuhr mit ihr ohne weitere Worte nach Bonn, klingelte an der Tür eines neuerbauten Mietshauses, schob sie die zwei Treppen hinauf und durch eine Wohnungstür in eine kleine Diele. Dort stand eine grauhaarige, rundliche Frau mit gütigen Augen und sah Irene forschend an.
Seine Mutter, durchfuhr es sie. Mein Gott, seine Mutter! Er liebt mich wirklich!
»Das ist sie, Mama«, sagte Wolfgang Wolter fröhlich. Er war in Uniform, hängte seine Mütze an den Garderobenhaken und legte den Arm um Irenes Taille. »Das ist Irene Brandes. Wie gefällt sie dir? Sag es ehrlich. Dein erster Eindruck. Sag ruhig: Na ja … oder: Sie paßt zu dir. Aber was du auch sagst, Mama – das ist sie! Ich werde sie heiraten.«
Durch Irene Brandes zog eine lähmende Kälte. Wie eine hereingetragene Puppe stand sie in der Diele, und Agnes Wolter schien zu ahnen, wie es in ihr aussah. Sie glaubte an die mädchenhafte Scheu … wer ahnte etwas von Borokin?!
»Kommt rein, Kinder«, sagte sie. »Es sieht noch wüst aus. Seit drei Tagen wohne ich hier. Wolfgang hat die Wohnung gemietet. An das Geschäft in Göttingen habe ich ›Betriebsferien‹ dranschreiben lassen. Kommt rein!«
»Erst ein Wort über sie, Mama«, rief Wolfgang wie ein trotziger Junge. »Gefällt sie dir?«
»Du machst sie ganz verlegen, Junge.«
»Sie ist wunderbar, Mama! Ihr werdet euch blendend verstehen. Ach Gott … wer sollte sich mit dir nicht verstehen, Mama! Sieh an, wie glücklich ich bin.«
Agnes Wolter nickte stumm und ging voraus ins Wohnzimmer. Dort stand auf einem Radio ein großes, in Gold gerahmtes Bild.
Ein Mädchen in der Uniform der DBOA. Blonde kurze Haare, das Stewardeßkäppi schräg auf dem Kopf. Das Foto, das rund achthunderttausend Menschen in Tiflis gesehen hatten.
Irene Brandes blieb mit einem Ruck vor dem Bild stehen. Nein, schrie es in ihr. Das ist gemein, das ist ein Verbrechen, das ich begehe. Ich sage die Wahrheit. Auf der Stelle sage ich die Wahrheit.
»Meine Tochter Bettina«, sagte Agnes Wolter hinter ihr mit leiser Stimme. »Am 19. Mai ist sie über Rußland abgestürzt. Vermißt.«
»Sie wird wiederkommen«, sagte Irene mit rauher Stimme. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. »Sie wird bestimmt wiederkommen.«
»Ich danke Ihnen.« Über Irenes Arm tastete eine müde, alte Hand. »Ich glaube auch, daß sie lebt. Ich fühle es. Sie lebt. Es ist schön, daß Sie auch so denken, Irene. Sie sind ein nettes, anständiges Mädchen. Ich freue mich für meinen Wolfgang.«
Das war der Augenblick, wo Irene hätte aufheulen können wie ein getretener Hund.
*
Zwei Abende später rief Borokin bei Irene Brandes an. Er hatte fast sechs Tage keine Meldungen von ihr bekommen und war mit Grund unruhig.
»Mein Täubchen«, sagte seine glatte Stimme im Telefon, und Irene hatte einen Augenblick den Drang, den Hörer hinzuwerfen und vor dieser Stimme zu flüchten, »haben Sie den guten Jurij Alexandrowitsch vergessen? Wie geht es Anette von der Hardthöhe?«
»Sie apportiert schon Holzknochen«, antwortete Irene tief atmend.
»Und was haben Sie apportiert, Irene?«
»Ihre Ausdrucksweise ist gemein, Borokin!«
»Lassen Sie uns nicht um Worte streiten, Täubchen.
Weitere Kostenlose Bücher