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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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plaudern. Sehen Sie – das wollte ich. Und es freut mich, daß wir alle so hervorragender Laune sind.«
    Borokin steckte den Schlüsselbund ein, zog ebenfalls seinen Rock aus und setzte sich ans andere Ende der Couch.
    Mit ernsten, lauernden Augen saßen sich Wolter und Borokin gegenüber.
    Und jeder wußte, daß es ein erbarmungsloser Abend würde.
    »Etwas Kühles wäre sehr schön«, sagte Borokin, als man sich lange genug stumm gemustert hatte. »Du bist eine Meisterin im Mixen von Drinks … mach uns einen Champagner-Cobbler, sei lieb, Irene.«
    Wolfgang Wolter nagte an der Unterlippe. Nichts war mehr da von seinem offenen, jungenhaften Gesicht. Mit großen Augen sah Irene Brandes diese Verwandlung: ein hartes, kantiges Gesicht mit dunkelblauen, gar nicht mehr zärtlichen, sondern kalten Augen.
    »Mir einen Whisky, bitte«, sagte er, ohne Irene anzusehen. »Sie sollten Wodka trinken, Major Borokin.«
    »Ach! Jetzt wissen Sie, wer ich bin?« Borokin winkte ab. »Wodka ist langweilig, lieber Oberleutnant. Man glaubt im Westen immer, der Wodka sei unser Lebenswässerchen, ohne Wodka seien wir nur halbe Menschen. Es ist, wie so vieles, falsch am russischen Bild. Ich trinke zum Beispiel lieber Sekt, weil er anregt und beschwingt macht, und Genosse Kolojew von der Handelsabteilung liebt Magenbitter. Ausgerechnet Magenbitter. Mit Sprudelwasser verlängert er ihn und spritzt ihn mit Zitronensaft ab. Was es alles gibt, Freunde.«
    »Kommen wir zur Sache, Major Borokin«, sagte Wolter hart.
    »Wir sind dabei, mein Bester.«
    »Sie sind doch hier nicht eingedrungen, um sich mit mir über Wodka oder Magenbitter zu unterhalten.«
    »Im Augenblick doch. Ich wüßte kein besseres Thema, als in Gegenwart einer so schönen Frau wie Irene von anregenden Getränken zu sprechen.«
    Mit zitternden Händen – die Flüssigkeiten schwappten über die Gläserränder – servierte Irene die Getränke. Sekt für Borokin, Whisky für Wolter, für sich einen Kognak. Dann setzte sie sich in den Sessel, den Männern gegenüber, legte die Hände in den Schoß und starrte auf den Boden. Was sollte sie sagen?
    In ihr war es leer, sie kam sich auf dieser Welt überflüssig vor.
    »Nastarowje!« sagte Borokin gutgelaunt und hob sein Glas. Wolter nippte an seinem Whisky und stellte das Glas schnell wieder zurück auf den kleinen Tisch vor der Couch.
    »Ein schöner Tag«, sagte Borokin. »Wir haben Glück mit dem Wetter. Wenn man bedenkt, welch ein Mistwetter es am 19. Mai war. Eine ganze Gewitterfront prallte gegen die armenischen Berge. Wie aus Kübeln schüttete es. Der Deutsche hat einen guten, bildhaften Ausdruck dafür: Wolkenbruch! Aber jenseits der Berge, bei uns in Grusinien, war schönes Wetter. So verrückt ist der Himmel! Und wenn dann ein Flugzeug sich verirrt …«
    Wolfgang Wolter wurde blaß. Seine Finger zogen sich zu Fäusten zusammen. »Sie reden von Bettina, Major Borokin«, sagte er heiser. »Bitte, keine langen asiatischen Umschweife und Höflichkeiten. Sie wollen sich mit mir über meine Schwester unterhalten?«
    »Sie ist noch vermißt, nicht wahr?«
    »Warum fragen Sie? Sie wissen es besser als ich. Bettina ist seit dem Unfall verschwunden.«
    »Und warum wohl?« Borokin lächelte mokant.
    »Wenn wir das wüßten, wäre es uns allen leichter.«
    »Ich kann Sie in diesem Punkt leicht wie eine Feder machen.« Borokin lachte leise über sein Wortspiel. »Ihre Schwester flüchtete in die kaukasischen Berge, weil Sie Offizier der deutschen Abwehr sind. Sie fürchtete Repressalien, Erpressungen, was weiß ich? Wir Russen gelten ja immer als das Schreckgespenst im Westen.«
    »Ich glaube nicht, daß meine Schwester derart primitiv denkt.« Wolfgang Wolter sah an Irene Brandes vorbei gegen einen Wandbehang. Ein Gobelin. Eine Jagdszene aus dem 18. Jahrhundert. Woher hat sie das Geld, sich solche Dinge zu kaufen? dachte er. Sie ist eine Sekretärin … so sagte sie. Es waren häßliche Gedanken, und sie taten körperlich weh. Und dann schwenkten seine Gedanken zu Bettina, und er bewunderte den Scharfsinn der Russen, die genau den Grund des Verschwindens Bettinas erraten hatten.
    »Es mag eine Enttäuschung für Sie sein, Herr Oberleutnant«, sagte Borokin höflich. Er holte aus seiner Tasche eine Packung echter Papirossy und hielt sie Wolter hin. Wolfgang schüttelte stumm den Kopf. Die Sicherheit des Russen machte ihn vorsichtig und wuchs sich in ihm zu einer inneren Bedrückung aus. Was wußte Borokin? Was war wirklich in Tiflis

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