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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Visum?«
    »Er redet wie ein Beamter!« schrie Kolka. »Visum! Als ob ich an die Grenze trete und sage: ›Genossen, hier ist Kabanow. Macht den Schlagbaum hoch, ich will hinüber. Und dann beseht euch meine blankgewetzte Hose aus der Ferne.‹«
    »Es muß alles genau vorbereitet werden.« Dimitri sah auf die Karte, die er auf dem Tisch ausgebreitet hatte. So nah war die Grenze, so winzig der Raum zwischen Ost und West – eine Daumenbreite nur auf der Karte. Und doch lag dazwischen eine Hölle für den, der heimlich diese kleine Spanne überwinden wollte.
    »Wir sollten als Bauern bis zur Grenze ziehen. Dort werden wir sehen, wo man am besten hinüber kann«, sagte Bettina.
    »Ein kluges Schwänchen, was?« rief Kolka und küßte seine Tochter auf die Stirn. »Als Bauern, das ist's, Dimitri. Einen Wagen werden wir uns besorgen, zwei Pferdchen, ein paar Säcke Rosinen – man muß ja zeigen, womit man handelt – und dann werden wir am Schlagbaum stehen und hinübersehen in die Türkei. Verlaßt euch auf den alten Kolka! Ich werde einen Pfad finden.«
    Der Gedanke war in der Tat vorzüglich. Auch Dimitri erkannte es an. Und so ging man daran, den Auszug aus Tiflis bis ins kleinste vorzubereiten. An alles mußte man denken, vom Heftpflaster bis zum Fußpuder, denn Kolka Iwanowitsch hatte wunde Füße, wenn er lange wanderte. Auch dies war ein Andenken an den Krieg, an den Winter 1941, in dem ihm beide Füße erfroren, aber noch gerettet werden konnten. Nur wenn er lange marschierte, pellte sich die Haut ab und das rohe Fleisch rieb an den Socken. Am wichtigsten aber war das Geld.
    »Wieviel Rubelchen haben wir?« fragte Kolka.
    »Nicht viel, Väterchen.« Dimitri holte sein Sparbuch und blätterte es auf. »Außer dem, was wir in den Taschen haben, sind es dumme siebenhundert Rubel.«
    »Haha!« schrie Kolka und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Da hat man einen Sohn, und der denkt, der Alte ist blöd! Seht einmal her, Kinderchen!« Er sprang auf, ging zu einem alten Schrank, nahm aus ihm einen runden Topf, und Dimitri erkannte mit Verblüffung, daß es ein Fettopf war, randvoll von ausgeschmolzenem Nierenfett.
    »Was soll's?« fragte er vorsichtig. »Willst du mit Fett bezahlen?«
    »Ist er nicht ein lieber Idiot, dein Dimitri?« fragte Kolka mit glänzenden Augen. Ein langes Messer holte er, stach es am Rand in das Nierenfett und drehte es rund um den Topf. Dann stülpte er ihn um, der Fettklumpen fiel heraus, und auf dem Boden des Topfes – Dimitri bekam große Kinderaugen – lag ein flaches Paket aus Wachstuch, über das Kolka das ganze Fett gegossen hatte. Er schlitzte das Wachstuch auf, öffnete es und ein kleiner Berg Rubelscheine quoll hervor.
    »3.859 Rubelchen!« schrie Kolka. »Wer zweifelt jetzt noch daran, daß wir nach Deutschland kommen?«
    »Woher hast du das Geld?« fragte Dimitri leise. Unheimlich wurde ihm der Alte. Seit Jahren verdiente er kein Geld mehr.
    »Es liegt seit dem Tode von Mamuschka im Fett.« Kolka ließ die Rubelscheine durch seine Finger gleiten. »Dein Erbe ist's, Dimitri. Dein mütterliches Erbe. Das letzte Geld der Sotowskijs. Ich hab's so versteckt, damit es für dich erhalten bleibt. Im Testament hätte das Versteck gestanden.«
    »Mamuschkas Geld.« Dimitri legte seine Hand auf die Scheine. Seine dunklen Augen brannten. »Ich habe nichts davon gewußt.«
    »Es waren im ganzen knapp 6.000 Rubelchen. Was fehlt, steckt in dir, Dimitri Sergejewitsch. Deine Kleidung als Junge, deine Ausbildung zum Ingenieur. Ich habe dich sogar nach Saratow auf die Hochschule geschickt.«
    »Und ich habe mir darüber Gedanken gemacht, woher das Geld kam.« Dimitri sprang auf. Zu dem Alten rannte er, umarmte ihn und küßte ihn wie ein kleiner Junge seinen Vater küßt. »Du bist wahrhaftig ein gutes Väterchen«, sagte er mit schwankender Stimme. »Das beste Väterchen bist du!«
    »Du kannst jetzt zeigen, daß du ein gutes Söhnchen bist«, sagte Kolka und zog Dimitri an den schwarzen Locken.
    »Nimm das Geld!« Dimitri schob das aufgeschlitzte Wachstuchpäckchen zu Kolka Iwanowitsch. »Nimm es!«
    »Das wußte ich.« Kolka sah hinüber zu Bettina. Sie sah aus dem Fenster, über die Dächer von Tiflis hinweg, und ihr Blick war weit über der Grenze. »Wir werden nicht so schnell wie dein Flugzeug sein, Wanduscha«, sagte er.
    »Ich denke an Mutter.« Sie wandte sich ab und wischte sich über die Augen. »Sie ist herzkrank. Seit ein paar Jahren. Und nun dieses Wiedersehen.«
    »Ganz vorsichtig

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