Begegnung in Tiflis
Schutz der Deutschen Botschaft. Wir werden, wenn wir Teheran erreicht haben, mit dem Flugzeug ebenfalls nachkommen nach Beirut, und die Familie ist wieder zusammen. Geht es einfacher, Dimitri?«
»Ich lasse euch nicht allein durch die Berge zur Grenze ziehen!« rief Dimitri. »Du bist alt, Wanduscha ist ein Mädchen und kennt nicht unser rauhes Land. Ihr würdet elend zugrunde gehen.«
»Hat man das schon mal gehört?« sagte Kolka rauh. »Er nennt mich einen alten Mann. Bin ich ein zittriger Greis, he? Sieh es dir an, du Dummkopf.«
Zum Ofen ging er. Dort stand neben dem Gasherd ein alter Kohleofen, den Kolka nicht mehr benutzte, weil sie schon seit Jahren mit Öl heizten.
»Um Himmels willen, laß ihn stehen!« schrie Dimitri. »Einen Bruch hebst du dir.«
»Bin ich ein Zwerg?« schrie Kolka. Er umfaßte den schweren Kohleofen mit beiden Armen, stemmte ihn hoch bis zur Decke, es krachte gegen die Balken, Putz und Mörtel rieselten herab, und oben fiel der grusinische Maler Arkadij L. Bederian aus dem Bett, aber er merkte es nicht, denn er war wieder besoffen. Dann warf Kolka den Ofen von sich wie einen großen Stein, er knallte auf die Dielen, zwei Bretter brachen, und unten hörte man einen grellen Aufschrei, denn die unter ihnen wohnende Witwe Djura Halikowa dachte, ein Erdbeben zerstöre nun das Haus und ihr Leben.
»So!« sagte Kolka und rieb sich die Hände. »Bin ich ein alter Mann?«
Bettina lachte laut, und dann wurde sie plötzlich ganz still.
»So hat dich Mutter nie geschildert«, sagte sie leise.
Kolka Iwanowitsch nickte und nagte an der Unterlippe.
»So wird man, mein Töchterchen, wenn man grausamer als ein Wolf sein muß.«
*
Das Zimmer, in dem Oberleutnant Wolter stand, war kärglich eingerichtet und klein. Vom Fenster aus sah man auf einen Parkplatz. An der Wand hing ein Bild des Bundespräsidenten. Der Schreibtisch war hell gebeizt und schmucklos. Ein paar einfache Stühle, ein runder Tisch mit einem Aschenbecher – das war alles, was in dem Zimmer stand. Keine Blume, keine Vase, nur ein Telefon mit vielen Knöpfen für eine Direktwahl innerhalb des Hauses.
»Es ist gut, Wolter, daß Sie gleich zu mir gekommen sind«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. Er trug eine dunkle Sonnenbrille und hatte eisgraue Haare, und Wolter versuchte sich vergeblich vorzustellen, wie der Mann ohne Brille aussehen mochte und vielleicht mit braunen oder blonden Haaren. »Kollegen von Ihnen, die in ähnlicher Lage waren, drehten durch und machten unverzeihliche Dummheiten. Ihre offene Meldung gibt uns eine gute Möglichkeit des Gegenzugs.«
»Daran dachte ich auch, Herr General.«
»Was sagt Oberst Hermrichs?«
»Er schickte mich ja zu Ihnen. In der Abteilung V/017 ist alles klar. Es geht um die Möglichkeit einer Koordinierung.«
Der General mit der Sonnenbrille nickte. Er trug einen hellen, unauffälligen Sommeranzug und einen buntgemusterten Schlips.
»Wir werden Ihnen Informationen geben, auf die jeder Russe mit Hurra stürzt. Daß sie falsch sind, merken sie erst, wenn alles anders kommt. Bis dahin haben wir einen genauen Überblick über das Agentennetz des Majors Borokin. Ich muß gestehen, daß mir Borokin nie aufgefallen ist. Aber keine Sorge, wir werden das schon machen, Wolter. Im übrigen glaube ich nicht daran, daß die Russen Ihre Schwester haben.«
»Borokin will mir einen Unterrock Bettinas schicken. Einen Brief und ein Bild von ihr.«
»Interessant.« Der General mit der Sonnenbrille lächelte. »Verlieren Sie mir bloß nicht die Nerven, Oberleutnant. Denken Sie daran, daß ich Ihnen helfen werde.«
»Jawohl, Herr General.«
Verwirrt verließ Wolfgang das kleine Zimmer. Auf dem Flur empfing ihn eine Ordonnanz, die ihn bis zum Parkplatz brachte. Durch drei Sperren fuhr er hinaus aus der kleinen, mit einer hohen Mauer umgebenen Stadt am Rande eines Wäldchens. Seine Laufkarte wurde kontrolliert, an der dritten Sperre wurde sie abgenommen. Aufatmend hielt Wolter seinen Wagen an und sah zurück. Die Dächer der langgestreckten Häuser glänzten in der Sonne. Es war ein heißer Tag, und doch war es Wolfgang Wolter, als käme er gerade aus einem Eiskeller.
Er hatte ein seltenes Glück gehabt. Der geheimnisvolle Mann der deutschen Spionage hatte ihn empfangen und gesprochen. Er hatte ihn für dieses kurze Gespräch extra nach München-Pullach kommen lassen.
General Gehlen. Der Mann mit der Sonnenbrille, der schon Mythos und Sage geworden war.
Drei Tage später übergab Wolfgang
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