Begegnung in Tiflis
geschehen? »Bettina – darf ich sie so nennen? – versuchte, illegal über die sowjetisch-türkische Grenze zu kommen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Von ihr.«
Wolter sprang mit einem Satz auf. Es war ihm, als sei in seine Magengrube geschlagen worden. Übelkeit überkam ihn. »Bettina lebt?« fragte er heiser.
»Ja.«
»Wo?«
»Bei uns.«
»Was heißt: bei uns?«
Mein Herz vereist, dachte Wolter. Dieses lächelnde Gesicht Borokins … es ist wie das Haupt der Medusa, bei deren Anblick man erstarrte. Was haben sie mit Bettina gemacht?
»Ihre Schwester befindet sich wohlbehalten an einem Ort, den wir – das werden Sie als Abwehrmann sicherlich verstehen – nicht nennen können.« Borokin genoß den Rauch seiner Papirossa, sah den weißen Wölkchen nach und hatte träumerische Augen. Er dachte an die letzten Meldungen aus Moskau und den zusammenfassenden Bericht aus Tiflis. Dort hatte die blinde Bäuerin, bei der sich Bettina Wolter in eine Russin verwandelte, ausgesagt, daß das schöne Weibchen sich Wanda Fjodorowa nannte. Mit solchen Meldungen kann man etwas anfangen, dachte Borokin. Gold sind sie wert. Ach was, Gold … man sollte sie in Diamanten fassen.
»Sie bluffen dilettantisch«, sagte Wolter mit Fassung. »Warum sollte Bettina sich in Rußland verstecken wollen …«
»Sie nannte sich Wanda Fjodorowa.« Borokin sah in sein Cobblerglas. Es war ihm gleichgültig, welches Gesicht Wolter jetzt machte; er wußte, daß dieser Schlag die richtige Stelle traf. »Und sie versteckte sich aus dem Grund, den Sie primitiv nannten: Ihretwegen! Nachdem wir sie in den Bergen eingefangen haben – verzeihen Sie, Herr Oberleutnant, das klingt, als habe man ein Tier gejagt, aber sie hat sich auch gewehrt wie eine Wildkatze –, gab sie uns sehr vernünftige Erklärungen.«
»Und was soll das alles, Major Borokin?« Wolfgang Wolter nippte wieder an seinem Whisky. »Warum läßt man Bettina nicht ungehindert nach Deutschland zurück?«
»Das ist eine simple Frage.« Borokin schüttelte den Kopf. »Ich habe Sie doch wohl nicht überschätzt?«
»Ich habe damit nichts zu tun.«
»Es ist ein alter deutscher Zug, immer dort ein Held zu sein, wo es sich lohnen würde, ein Feigling zu werden.« Borokin prostete Irene zu, aber sie sah weg, drehte sich herum und begann plötzlich leise zu weinen. »Die Nerven«, sagte Borokin, als er sah, wie Wolter zu Irene gehen wollte, aber sich doch dagegen wehrte. »Lassen wir doch die Nerven, Herr Oberleutnant. Unser Metier ist schmutzig, aber es ersetzt auf die Dauer die Kriege, die noch schmutziger sind.« Er stellte das Glas ab und lehnte sich zurück.
»Wir interessieren uns sehr für die Struktur und das Material jenes geheimnisvollen ›fliegenden Bataillons‹, das an den Grenzen der DDR und der Tschechoslowakei mit Funk und Luftballons antikommunistische Propaganda in den Osten schleust.«
Oberleutnant Wolfgang Wolter wandte sich ab und trat an das verhängte Fenster. Eine Übergardine mit bunten großen Blumen, aber vor seinen Augen wurden sie zu rotierenden, rasenden Kreisen.
»Bitte, gehen Sie. Das heißt … dies ist Irenes Wohnung. Ich werde gehen.«
»Bleib, Wolf …« Es war der erste Satz, den Irene seit dem Eintritt Borokins sprach. Und es war fast ein Aufschrei.
Wolter drehte sich brüsk herum.
»Dann, bitte, weise Major Borokin aus deiner Wohnung!«
Borokin wedelte mit beiden Händen durch die Luft, ehe Irene etwas sagen konnte. Er lächelte breit und strahlte Gemütlichkeit aus.
»Ich bin weit davon entfernt, mich beleidigt zu fühlen«, sagte er. »Ich stamme aus einem Dorf am Don. Luniskoje heißt es. Ein paar Hütten, aber große Schweineherden. Am Donufer und in der Steppe haben wir sie als Kinder gehütet. Stolz waren wir auf die Schweinchen, unser ganzer Besitz waren sie, für uns hätte die Welt nur aus Schweinchen bestehen können. Aber kam man woandershin, hieß es gleich: ›Ah, da kommen die Säue aus Luniskoje!‹ Es hing uns an, bis heute ist es so … und wenn ich einen Menschen aus unserer Nähe treffe, dann sieht er mich an, mustert meine Uniform und fragt: ›Na, Freundchen Major, wie geht es deiner Schweineherde?‹« Borokin hob die Schultern. »So verlernt man es, sich beleidigt zu fühlen.«
»Gehen Sie!« sagte Wolter grob.
»Sofort. Sie wollen Ihre Schwester nicht wiedersehen?«
Wolter fuhr herum. »Ich werde es sofort im Auswärtigen Amt melden!«
»Mein lieber junger Freund, was soll's? Offiziell werden wir sagen, daß
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