Begegnung in Tiflis
wir eine Bettina nie gesehen haben. Wer will's uns beweisen? Nur wir drei wissen, was in Wahrheit geschehen ist. Die Rückkehr Bettinas – oder Wanda Fjodorowas – liegt ganz in Ihrer Hand, Herr Oberleutnant.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Dann wird Ihre Schwester vermißt bleiben wie es auch Ihr Vater ist. Rußland ist groß genug. Wenn Sie eine Perle ins Meer werfen, läuft es davon nicht über.«
»Und wie wollen Sie mir beweisen, daß Bettina wirklich bei Ihnen ist?«
»Ich bekomme mit der nächsten Kurierpost einige Kleidungsstücke Ihrer Schwester als Beweis. Ihren Unterrock zum Beispiel.«
Wolter wandte sich wieder ab und trat ans Fenster. Man sollte von diesen Russen lernen, dachte er. Zeit gewinnen, das ist ihre große Kunst. Ihre Uhren scheinen langsamer zu gehen … aber nach einem Jahrhundert sieht man, daß sie vorausgeeilt sind. Nur ist es dann zu spät, sich darüber zu wundern.
»Welche Garantie bieten Sie?« fragte Wolter knapp.
Borokin hob die Augenbrauen.
»Mein Wort.«
»Ich könnte Sie jetzt wieder beleidigen …«
Borokin sah in seinen perlenden Sekt. »Es träfe mich nicht, denn ich weiß, was Sie sagen wollen. Aber welche Garantie wollen Sie?«
»Einen handschriftlichen Brief von Bettina.«
»Sollen Sie haben«, sagte Borokin sofort.
»Ein Foto neuesten Datums.«
»Keine Schwierigkeit.«
»Die Übergabe meines Materials nur gegen Austausch meiner Schwester. Ich gewähre Ihnen einen Teileinblick, und Sie bekommen das ganze Material, wenn mir Bettina gegenübersteht.«
»Einverstanden.« Borokin erhob sich und zog sein Jackett an. »Sie sind ein guter Geschäftsmann, Herr Oberleutnant.«
Wolfgang Wolter antwortete nicht. Er blieb am Fenster stehen, und er drehte sich um, als Borokin zur Tür ging, vorbei an der noch immer still vor sich hin weinenden Irene, der er beim Vorbeigehen leicht über die blonden Haare strich. Da zuckte sie zusammen wie unter einem Schlag und warf den Kopf zur Seite.
»Wann sehen wir uns?« fragte Borokin, die Hand auf der Klinke.
»Ich rufe Sie an, Major Borokin.«
»Bitte nicht in der Botschaft. Wir können über eine unverdächtige Bonner Nummer miteinander sprechen. Der Fernsprechinhaber ist ein gewisser Hermann Albrechten.« Borokin lächelte wieder, und es war das unergründliche Lächeln Asiens, obwohl er als Dongeborener weit weg von Asien war. »Es hat keinen Sinn, die Überwachung einzuschalten, falls Sie das dachten. Albrechten bin ich … und wenn diese Telefonnummer in Kürze auch abgehört werden sollte, brechen wir die Beziehungen ab. Ganz einfach ist das.«
»Natürlich.« Wolters Stimme hatte jeden Klang verloren. Sie war dumpf und flach. »Sie hören von mir, Major.«
»Ich wünsche noch einen schönen Abend.« Borokin hatte die Tür aufgestoßen und stand halb in der kleinen Diele des Appartements. »Noch eins zur Klärung, Herr Oberleutnant: Irene liebt Sie wirklich.«
»Gehen Sie doch endlich!« rief Wolter gequält.
»Irene befindet sich in der gleichen Lage wie Sie. Ihre Mutter ist in der DDR, im Zuchthaus. Der Preis der Freilassung war der Kontakt zu Ihnen. Verurteilen Sie sie nicht, mein Freund … Irene hat, als sie Sie kennengelernt hatte, darum gekämpft, aus diesem Auftrag herauszukommen. Leider muß Borokin hart bleiben.«
Dann klappte die Tür, und Wolter wartete noch eine Minute, ehe er sich herumdrehte. Irene starrte ihn aus geröteten, vom Weinen verquollenen Augen an.
»Warum hast du mir das alles nicht vorher gesagt?« fragte er leise.
»Ich hatte Angst, Wolf …« Ihre Stimme war kläglich.
»Du hattest kein Vertrauen, Irene.«
»Ich wollte dich nicht verlieren.« Ihr Kopf sank nach vorn. »Ich habe nie gewußt, was glücklich sein bedeutet. Als Kind habe ich die Heimat verloren, als Erwachsene wurde ich nur ausgenutzt. Und heute abend habe ich gesehen, wie sinnlos mein Leben ist.« Sie faltete die Hände und schloß die Augen. »Laß uns auseinandergehen, Wolf. Es hat wirklich keinen Sinn. Ich bringe nur Unglück.«
Wolfgang Wolter wandte sich zum Fenster zurück und zog die Gardine einen Spalt zur Seite. Unten auf der Straße sah er Borokin gehen. Er stieg in einen hellen Wagen und fuhr ab.
»Wir müssen durch diesen Sumpf hindurch«, sagte Wolter. »Und wir werden es schaffen! Du willst deine Mutter wiedersehen … ich will Bettina aus Rußland zurückholen.«
»Du willst doch nicht auf Borokins Bedingungen eingehen?« rief Irene und sprang auf. »Um Gottes willen, Wolf, du kennst Borokin
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