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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht! Er wird dich nie wieder aus den Händen lassen. Und wenn du unbequem wirst, töten sie dich.«
    »Das steht alles in unwahren Romanen.« Wolter lächelte schwach. »Die Praxis ist anders.«
    »Ich habe es erlebt.« Irene hob beide Arme Wolter entgegen. »Tue es nicht, Wolf! Wir werden alle, alle – du, meine Mutter, Bettina und ich – daran zugrunde gehen. Borokin kennt kein Mitleid. Er hat nur das Äußere eines Menschen; im Inneren ist er wie eine Maschine, die seelenlos abläuft.« Und dann eilte sie auf ihn zu, umarmte ihn, klammerte sich an ihm fest und weinte laut an seiner Brust. »Versprich mir, daß du es nicht tust«, stammelte sie. »Zeige ihn an, laß ihn ausweisen.«
    »Und deine Mutter? Sie wird im Zuchthaus bleiben.« Wolter drückte Irene an sich. Es war ein schönes Gefühl, zu wissen, wie groß die Liebe eines Mädchens sein kann. »Und Bettina? Rußland hat mir schon meinen Vater genommen, es war nicht zu ändern. Aber hier kann etwas geschehen – und, bei Gott, ich werde es geschehen lassen!«
    »Du willst ein Agent Borokins werden?« In Irenes Augen lag blankes Entsetzen. Wolfgang Wolter sah über ihre blonden Haare hinweg gegen die Tür, durch die eben Borokin gegangen war.
    »Ich werde deine Mutter und Bettina zurückholen«, sagte er hart. »Und ich werde so sein wie Borokin.«
    Irene legte den Kopf an seine Schulter. Ein Zittern durchlief ihren Körper. Und es war nackte Angst, die über ihre Haut glitt und sie bis in die Poren zittern ließ.
    *
    Wenn die Familie plötzlich größer wird, ist es im allgemeinen eine Freude, wenn der Zuwachs nicht gerade das Schwiegermütterchen ist oder ein tauber Onkel, den man so anbrüllen muß, daß es den Konsum an Halspastillen hebt. Und jeder kann begreifen, daß Kolka Iwanowitsch Kabanow in den Tagen nach jenem denkwürdigen Morgen, an dem er seine Tochter wiederfand und er selbst dem Grabe entstieg und wieder Karl Wolter aus Göttingen sein konnte, vor Freude fast tanzen mochte, Wodka und Wein kaufte, ein Huhn briet, Salat mit saurer Sahne anmachte und gezuckerte Walderdbeeren auftrug. Eine rechte Feier war's, eine doppelte sogar, denn der glückliche Kolka konnte sagen:
    »Wie schön ist das Leben, Kinder. Ich habe einen russischen Sohn und gleichzeitig einen Schwiegersohn. Ich habe wieder eine Frau und zwei lebendige Kinder. Und wenn man es genau betrachtet, sind wir nur älter geworden, weiter nichts. Es wird alles wie früher sein, nur Dimitri ist hinzugekommen, und ihn lasse ich nicht los. Ans Herz ist er mir gewachsen wie mein echter Sohn Wolfgang. Ich habe drei Kinder, und damit basta!«
    »Ich danke dir, Väterchen«, sagte Dimitri Sergejewitsch. Nun war er es, der nüchterner dachte als der Alte, den die Freude verrückt machte und der um Bettina herumrannte wie ein dressierter Hund im Zirkus. »Aber zwischen Göttingen und Tiflis liegen einige tausend Werst.«
    »Was sind jetzt noch Entfernungen, Söhnchen?« rief Kolka. »Über die Grenze geht's, so wie es Wanduscha schon wollte. Und dann fliegen wir nach Deutschland. Die Welt ist doch klein geworden, Dimitri.«
    »Man muß erst über die Grenze kommen, Väterchen.«
    »Das werden wir! Ha!« Kolka griff zum Weinglas, und seine grauen Äuglein blickten nach innen. Erinnerungen kamen hoch, die Jahre in der Gefangenschaft, der Übergang vom Lazarett, wo man seine drei Lungenschüsse ausheilte, zum Arbeitslager am Terek. Dreimal war er geflohen. Wie ein Wolf streifte er damals durch die Steppe, verkroch sich am Tage in Weidehütten oder in Höhlungen am Flußufer, aber wenn die Nacht kam, zog er weiter, lebte von Wurzeln und von Hasen, die er in der Schlinge fing. Sogar eine Schlange aß er, am offenen Feuer gebraten, so hungrig war er. Nicht einmal schlecht schmeckte sie. Wie ein Aal, nur nicht so fett. Aber er erreichte nie die Grenze. Einmal entdeckte ihn ein Kind, das am Fluß spielte, zweimal lief er einer Milizstreife in die Hände.
    Ein paar Jahre später wurde er ruhiger. Die Wandlung zu Kolka Iwanowitsch Kabanow begann. Wie lange würde es dauern, bis er wieder Karl Wolter war? Noch zeigte sich nichts davon. Er sprach russisch, er dachte russisch. Nur wenn er Bettina ansah, dachte er deutsch: mein Kind! Und Wolfgang lebt. Und Agnes auch! Wie mag sie aussehen? Als ich sie das letztemal sah, 1943, war es ein schlankes, liebes, hübsches Frauchen mit lustigen Augen.
    »Über die Grenze!« sagte Kolka starrsinnig. »Söhnchen, wir fahren hinüber in die Türkei.«
    »Und das

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