Begegnung in Tiflis
Uhr. Und Maud wartet im ›Arab‹ und hat sich bestimmt den tiefen Ausschnitt mit Maiglöckchenparfüm eingesprüht. Das roch dann wie eine Frühlingswiese, wenn er den Kopf darauf legte. O Maud …
»Ich kann bleiben?« fragte Dimitri fast demütig. Seine schwarzen Augen bettelten. Major Hawkins leckte sich über die Lippen. Er hatte Mitleid mit diesem großen Russen in dem schlecht sitzenden Leihsmoking, aber die Diplomatie hat nun einmal gewisse Formen und Gesetze. Entscheidungen aus dem Handgelenk treffen nur Genies. Ehrlich, wo gibt es heute noch Genies in der Diplomatie?
»Bleiben können Sie«, sagte Hawkins. »Aber nur als Gast. Ich lasse Ihnen ein Zimmer geben hier im Haus, wo Sie warten können. So einfach ist das nämlich gar nicht. Sie wollen nie mehr nach Rußland zurück?«
Dimitri senkte den Kopf. Welche Frage, dachte er. Wie kann man einem Russen eine solche Frage stellen? Ich gehe in ein anderes Land, jawohl, aber im Herzen verlasse ich Rußland nie. Wie kann man Mütterchen Rußland vergessen? Nur ein Amerikaner kann so etwas fragen.
»Ja«, sagte er leise. »Ich will in Deutschland bleiben.«
»Dann werden wir Sie morgen vormittag an die Deutschen weitergeben.« Major Hawkins sah Dimitri mit einem leichten Kopfschütteln an. Er sieht nicht aus, als ginge er fröhlich in den freien Westen, dachte er. Er macht eher den Eindruck, als verbanne man ihn aus Rußland in eine Sklaverei. »Hat im Hotel jemand Ihren Weggang bemerkt?«
»Als ich ging, nicht. Jetzt wird man mich sicherlich vermissen.«
»Und keiner ahnt, wohin Sie sich gewandt haben?«
»Nein. Man wird vor einem Rätsel stehen. Ich gelte als ein treuer, guter Kommunist.«
Major Hawkins ließ Dimitri in den zweiten Stock der Botschaft führen, wo einige Gastzimmer waren. Ein Nachtwächter brachte ihn hoch.
Ein merkwürdiger Mensch, dachte Hawkins, während er die letzten Meldungen abzeichnete, in der Nase schon das Maiglöckchenparfüm von Mauds Kleiderausschnitt. Bittet um Asyl und ist stolz darauf, ein guter Kommunist zu sein.
Der Mann wird es schwer haben im Westen. Er sollte lieber in Rußland bleiben.
Oben, in dem kleinen Zimmer, legte sich Dimitri, so wie er war, aufs Bett und starrte gegen die niedrige Decke. Nur die Smokingschleife löste er und öffnete den etwas engen Kragen.
Der zweite Schritt in die Freiheit war schwerer als der erste gewesen.
Der Westen, die sogenannte ›freie Welt‹, wartete nicht auf ihn, das sah und merkte er jetzt. Und erschreckend erkannte er, daß es unmöglich sein würde, eine neue Heimat zu finden. Wo immer er auch sein würde, auch in den Armen Bettinas – es würde immer nur ein Asyl sein.
Die Heimat blieb Rußland.
Man kann sie nicht ablegen wie ein schmutziges Hemd.
Und es war Dimitri, als sammelten sich in seinem Mund die Tränen an, die seine Augen nicht weinen wollten.
*
Der Leiter der sowjetischen Handelsmission in Beirut, der häßlich bebrillte Genosse Andreij Safonowitsch Schejin, geriet in große Not, als er seine Tifliser Schäfchen um sich versammelte und feststellte, daß einer, der schöne Dimitri Sotowskij, fehlte. Und gerade mit Sotowskij hatte Schejin etwas vor; er sollte Tischherr der ägyptischen Prinzessin Sharifa werden, denn der Kontakt zu den ägyptischen Einkäufern für Landmaschinen war nicht fließend genug. Der Ehemann Sharifas aber, ein Kriegsakademiekamerad Nassers, saß an der Stelle, an der man den Einkauf von Traktoren unterschrieb. Ein galanter Mann wie Sotowskij konnte schon durch seine bloße Anwesenheit viel erreichen.
»Wo ist Dimitri Sergejewitsch?« frage Schejin und blinzelte die anderen Ölfachleute an. Professor Swinzow, der, allen Alterserscheinungen spottend, in Beirut seine Potenz entdeckt hatte, flirtete mit einer rassigen Dame, die durch die Halle kam. Schejin stieß ihn an. »Wo ist Sotowskij?« schrie er unhöflich.
»Auf seinem Zimmer, was weiß ich?« Swinzow atmete tief auf. Diese Kultur der Weiber im Westen, dachte er. Diese Raffinesse in Kleidung und Bewegung.
»Er war doch eben noch hier?«
»Vielleicht ist er auf dem Lokus?«
Man wartete. Aber Sotowskij kam nicht wieder. Als einer der Ölleute den faden Witz machte, Dimitri hätte sich doch wohl nicht mit hinuntergespült, rannte Genosse Schejin in die Toiletten und rief mehrmals den Namen Sotowskijs.
Schwitzend vor Angst lehnte sich Schejin an die gekachelte Toilettenwand. Nur das nicht, dachte er zitternd. Himmel, nur das nicht! Laß ihn mit einem Weibsstück weg
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