Begegnung in Tiflis
winkte zurück.
»Ein ausgesprochen netter Mensch!« sagte Agnes Wolter laut. Der Taxifahrer sah sie durch seinen Innenrückspiegel an. »Gehört alles zu deren Propaganda«, sagte er.
»Was wissen Sie davon, junger Mann?« Agnes Wolter lehnte sich aufgebracht zurück. »Sie glauben ja auch nur, was die Zeitungen schreiben.«
Borokin war in sein Büro zurückgegangen und wartete nun, bis die Sekretärin das Kaffeegeschirr abgeräumt hatte. Dann ging er hinter seinen Schreibtisch, nahm den Brief Agnes Wolters an ihre Tochter, las noch einmal die Anschrift, lächelte mokant und zerriß den Brief in kleine Fetzen. Aus der hohlen Hand ließ er die Schnipsel in den Papierkorb zu seinen Füßen regnen und schnalzte dann mit den Fingern.
Er hatte das Gefühl, nur noch wenig Zeit zu haben, denn irgendwann mußte Bettina einmal auftauchen. Dann war das große Spiel zu Ende. Bis dahin mußte man noch allerhand erreicht haben.
*
Nach sechs Tagen Segeln und Rudern, Segelsetzen und Taueziehen, bei Windflauten fahren und gegen die Wellen zu steuern, fühlte sich Kolka Iwanowitsch Kabanow stark genug, weiter und allein in die Freiheit zu fahren. Auch Agafonow war zufrieden; sein Lehrjunge hatte schnell begriffen, worauf es ankam beim Bootsführen.
»So wird bei einem guten Lehrer aus einem Rindvieh ein Meister«, sagte er, als er Kolka mit Meerwasser zum Schiffer taufte. »Du kannst jetzt segeln, Brüderchen! Beweise es, indem du die Küste anläufst und mich absetzt.«
Kolka tat es. In der Nacht erreichten sie die Küste so nahe, daß man sogar die Lichter verstreuter Häuser sehen konnte. Eine flache Küste war's, und Agafonow, der an der Bordwand stand und lotete, gab das Kommando, Anker zu werfen.
»Lebt wohl, Freunde!« sagte er, umarmte Kolka herzlich, küßte Bettina, schnallte sich einen Plastikbeutel mit seinen erworbenen Zigarren und Kognakflaschen vor die Brust und sagte sich im stillen, daß Kolka bei allen Qualitäten ein Idiot sei. Achthundert Rubelchen zu geben, zwei Pferde und einen Karren für ein Boot, das nicht mehr zu den rüstigen Dingen gehörte, sondern bei einem richtigen Sturm auf die Gnade Gottes angewiesen war.
»Was wirst du sagen, wenn du nach Hause kommst?« fragte Kolka, ehe Agafonow ins Meer sprang und die letzten paar hundert Meter bis ans Land schwamm.
»Die Wahrheit: Entführung, Erpressung, Mißhandlung. Ich werde mich bemitleiden und bewundern lassen, Freunde.« Agafonow grinste breit. »Bis dahin seid ihr längst in Sicherheit. Noch zwei Tage Fahrt nach Süden und ihr habt die persische Küste neben euch.«
»Das ist ein gutes Wort, Herzchen!« Kolka klopfte Agafonow noch einmal auf die Schulter, dann stellte sich dieser auf die Bordkante, streckte die Arme vor, rief »Hupp!« und schnellte ins Wasser. Nur Hemd und Hose trug er, und er schwamm wie ein Delphin, drehte sich noch einmal nach seinem Boot um, winkte Kolka und Bettina zu und strebte dann mit langen Schwimmstößen zum Land. Nach wenigen Metern hatte ihn die Nacht aufgenommen.
Nun waren sie allein auf dem Boot, Kolka und Bettina, zogen den Anker wieder ein, was ein verteufeltes Stück Arbeit war, denn die Winde war rostig und knirschte schauerlich. Dann drehte Kolka das Segel, wie er es gelernt hatte, und fuhr wieder hinaus aufs Meer. In genügender Entfernung zur Küste warf er den Treibanker über Bord, man trank noch einmal Tee und aß eine Büchse Gulasch, rollte sich in die Decken und wünschte sich eine gute Nacht.
Noch zwei Tage, und dann frei!
Was sind schon zwei Tage nach dem, was hinter ihnen lag!
Sie wurden geweckt von einem heftigen Schaukeln.
Über das Meer heulte ein um diese Jahreszeit völlig widersinniger Wind, die Wellen hatten Schaumkronen und waren so hoch wie die Bordwand, der Himmel war gar kein Himmel mehr, sondern sah aus wie das Meer: Grau und aufgewühlt, fleckig und tobend.
Kolka und Bettina hielten sich an den Stricken fest und bezogen ihre Positionen: Kolka am Ruderbalken, Bettina am Mast, um das Segel zu regulieren. Der Sturm peitschte den Gischt in ihre Gesichter, und das Boot tanzte wie ein Kosak um ein Lagerfeuer.
»Es weht richtig, das Stürmchen!« schrie Kolka durch das Brausen des Windes. »Nach Süden! Setz das Segel hinein, Töchterchen … mit diesem Wind sind wir in einem Tag in Persien!«
An der Leine knatterte das Segel hoch. Der Sturm ergriff es, blähte es, der Mast schwankte und bog sich, und dann wurde das Segel zu einem Ballon und das Boot schien über die Wellen zu
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