Begegnung in Tiflis
fliegen.
»Hoij!« schrie Kolka und umklammerte seinen Ruderbalken. »Hoij! Das geht ja! Halt dich fest, Bettina!«
Bettina hatte den Mast umklammert und starrte auf das grüngrau schillernde Meer. Große Brecher, die über sie hinwegstürzten, hatten sie völlig durchnäßt, und nun begann auch noch ein Regen, der die Tropfen auf sie herunterpeitschte, und der Sturm drehte sich plötzlich, das Segel schlug zur Seite, das Boot legte sich schief.
»Scheiße!« brüllte Kolka. »Der Wind dreht! Er kreiselt, der Hund! Das Segel rum, Betti … das Segel rum, Kind … wir schlagen ja um!«
Bettina riß an der Leine, aber irgendwo klemmten die Rollen. Das Segel fiel nicht zusammen, sondern es blähte sich im Sturm, riß das Boot herum wie einen Kreisel, die Wellen brachen über Kolka und Bettina herein, die Kiste mit Agafonows Handharmonika wurde erfaßt und weggetragen in das tobende Wasser.
»Herunter mit dem Segel!« brüllte Kolka. Er konnte nicht helfen, er hing am Ruderbalken und versuchte, das Boot zu halten. Aber was nutzt ein dummes Ruder, wenn ein großes Segel tut, was es will?
»Es klemmt!« schrie Bettina zurück. Sie zerrte an den Leinen, sie warf sich in die Taue, aber es nutzte nichts. Das Segel lief nicht zurück, sondern wölbte sich wie ein Ballon.
»Kappen!« brüllte Kolka. »Kappen!«
»Ich habe kein Messer!« Der Sturm riß die Worte von Bettinas Mund. Brecher krachten über ihr zusammen, keine Luft bekam sie mehr, überall war nur tobendes Wasser, sie umfaßte den Mast, preßte sich an ihn und schloß die Augen.
Über ihr zerriß mit einem heulenden Laut das Segel und flatterte in Fetzen davon. Die Mastspitze brach und stieß neben ihr herunter in das Deck. Aber das war ein großes Glück für sie, denn nun hatte der Sturm keine Angriffsfläche mehr, das Boot verlor an Fahrt und wurde zu einem toten hölzernen Gegenstand, mit dem die Wellen machen konnten, was sie wollten.
Kolka hatte sich an den Ruderbalken mit einigen Stricken festgebunden. Er atmete kaum. Über ihn hinweg, von hinten, brachen die Wellen herein, und er hatte das Gefühl, sein Rückgrat würde zerstampft, Wirbel für Wirbel einzeln, Rippe nach Rippe. Er stöhnte, hielt sich am Ruder fest, stemmte die Beine gegen den Boden, hing in den Seilen.
Nie werden wir Persien erreichen, dachte er immer wieder. Nie! Nie! Im Kaspischen Meer werden wir ersaufen wie junge Katzen.
Sein Körper fiel nach vorn. Eine neue Welle. Sein Rücken schien zerfetzt zu sein. Er schrie gegen den Sturm an, und seine Augen quollen hervor wie bei einem Erdrosselten.
Dann plötzlich war alles wieder anders. Das Boot hatte sich gedreht. Keine Welle krachte mehr über das Deck … sie ritten auf dem Meer, wie in der Achterbahn war's … hinauf in die Höhe, dem Himmel entgegen … und dann hinunter in schwindelnde Tiefen … auf Wellenkämmen schwebten sie dahin, umspritzt von Gischt, rasten hinab in grünschillernde Täler, wurden emporgetragen wie auf einem riesigen Hebearm und sahen die geballten, jagenden Wolken näher und immer näher kommen, als würden sie hineingeschleudert in den tobenden Himmel.
Kolka Iwanowitsch richtete sich auf. Wie gefoltert kam er sich vor, und er wunderte sich, daß er noch sehen, hören und begreifen konnte.
Bettina hing an dem zerbrochenen Mast, ebenfalls mit Seilen umschlungen, umweht von dem Rest des zerfetzten Segels … ein schmaler, aufgeweichter, verkrümmter Körper, die Arme um das glatte Mastholz geschlungen und mit Augen, die leer vom überstandenen Grauen in das brüllende Meer starrten.
Der Wind hatte etwas nachgelassen, aber das Reiten auf den Wellen ging weiter, der Höhenflug und das Eintauchen in die grünschimmernde Tiefe. Ein Stück Holz waren sie ja, weiter nichts. Und das Meer spielte mit ihnen und brüllte vor Freude.
Sie lebt, dachte Kolka und lehnte sich zurück. Das Meer hat sie nicht weggenommen. Wir beide leben! Und am Horizont kriecht ein heller Streifen herauf. Die Sonne.
»Mein Gott!« sagte Kolka laut. »Manchmal erkennt man, daß es dich gibt …«
Und das Meer spielte weiter mit ihnen. Vier Stunden lang. Und als die Wellen länger und glatter wurden, lagen Kolka und Bettina in ihren Seilen, waren ohnmächtig vor Erschöpfung und sahen die Küste nicht, die langsam näher kam.
*
Es war ein schwerer Gang, den der Genosse Andreij Safonowitsch Schejin unternahm. Als es sich am Morgen herausstellte, daß Dimitri Sergejewitsch Sotowskij nicht das Opfer eines glutäugigen Beiruter
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