Begegnung in Tiflis
Grunde genommen doch nur ein Windei ist, ohne das man existieren könnte. Mit Ausnahme der Politiker, die diese Windeier bebrüten.
»Nie gehört!« schrie Schejin ins Telefon. »Wer soll das sein?«
Die deutsche Handelsmission entschuldigte sich und beendete das Telefongespräch. Schejin aber rief sofort die eigene Botschaft an und äußerte den Verdacht, daß eine große Schweinerei in der Geburt sei und er nichts, gar nichts dafür könne. Er habe Sotowskij nicht ausgesucht zur Delegation, und überhaupt die Genossen in Tbilisi … was die herübergeschickt hätten! Zum Beispiel diesen Professor Swinzow, den man gegen Morgen aus einer üblen Hafenkneipe habe herauskommen sehen, seine Hose in der Hand und unten herum nichts.
Dimitri Sotowskij wurde in der deutschen Handelsmission in das Wartezimmer gebracht. Dort lagen auf runden Tischchen Zeitungen und Bildbändchen aus Deutschland, an den Wänden hingen Fotos deutscher Landschaften, und Dimitri sah sie genau an, denn zum erstenmal hatte er Gelegenheit, ein Bild Deutschlands zu betrachten.
»Bitte, warten Sie hier«, sagte ein Sekretär, zeigte auf die Sessel, die herumstanden, und ließ Dimitri allein.
Dimitri wartete viele Stunden. Niemand kümmerte sich um ihn. Er blätterte alle Bücher durch, las mühsam, denn so gut beherrschte er Deutsch noch nicht, etwas von der Lüneburger Heide, von den ostfriesischen Inseln, von der Schwäbischen Alb, betrachtete die schönen Bilder und fand, daß Deutschland ein schönes Stück Erde sein müßte, wenn alles so aussah, wie es abgedruckt war.
Schließlich verspürte Dimitri Hunger und war durstig. Er meldete sich aber nicht, um die deutschen Beamten nicht zu erzürnen. Erst am Abend erschien wieder der Leiter der Mission und war weniger höflich als um die Mittagszeit. Er hatte ein paar Fernschreiben in der Hand und sah Sotowskij mißmutig und geradezu verächtlich an.
»Halten Sie uns für Idioten?« fragte er, als Dimitri bei seinem Eintritt aufsprang und hörbar aufatmete.
Dimitri war verwirrt. »Ich würde das nie behaupten«, sagte er ratlos. »Wieso fragen Sie so etwas Unschönes?«
»Wir haben Ihre Angaben gründlich überprüft.« Der Beamte warf die Fernschreiben auf den Tisch, mit einer Bewegung, die ausdrückte: Na siehst du, uns führst du nicht hinters Licht. Da müssen andere kommen. Und die sind noch nicht geboren, die uns hinters Licht führen. »Bei der Delegation, der Sie angehören wollen, kennt man keinen Dimitri Sergejewitsch Sotowskij.«
»Das ist unmöglich«, stotterte Dimitri. »Ich bin doch hier. Ich lebe doch! Ich bin doch mit dem Flugzeug von Tbilisi nach Beirut geflogen. Auf Kosten meines Staates.«
»Es stimmt, daß ein Flugzeug der DBOA in Tiflis notlanden mußte und dabei zerstört wurde. Wir haben bei der Fluggesellschaft in Hamburg angefragt.«
»Sehen Sie?« sagte Dimitri glücklich.
»Aber …«, der Deutsche sah Dimitri scharf an, »… die Stewardeß Bettina Wolter ist tot. In den Trümmern verbrannt.«
»Bin ich wahnsinnig?« sagte Dimitri leise. »Mein Herr, bin ich wahnsinnig? Ich habe Wanduscha selbst an der Ölleitung überwältigt, ich habe sie ins Haus gebracht, ich … ich … Sie lebt doch! Ihr Bild war in allen Zeitungen! Damit sie nicht erkannt wurde, haben wir ihr die Haare gefärbt. Die Meldungen, die Sie haben, müssen falsch sein.«
»Aus Deutschland kommen keine falschen Meldungen!« Der Beamte nahm die Fernschreiben und faltete sie erregt zusammen. »Herr Sotowskij, oder wie Sie heißen mögen, ich finde es unerhört, sich mit Lügen hier einzuschleichen, einen diplomatischen Apparat in Bewegung zu setzen und auch noch so zu tun, als seien Sie ein Opfer und nicht ein Betrüger, der politische Situationen ausnützt, um einen billigen Vorteil zu erlangen.«
»Ich verstehe Sie nicht …«, sagte Dimitri verwirrt und strich mit zitternden Händen über das Gesicht. »Mein Herr … ich schwöre es Ihnen, beim Andenken meiner Mutter – ich bin der Ingenieur Sotowskij aus Tbilisi, und meine Braut ist die deutsche Stewardeß Bettina Wolter.«
»Lassen Sie die Faxen!« Der Beamte steckte wütend die Papiere in die Rocktasche. »Verlassen Sie bitte die Handelsmission.«
»Aber … aber … wo soll ich denn hin?«
»Woher Sie gekommen sind!«
»Man wird mich in Tbilisi sofort wegen Landesverrates in ein Straflager stecken.«
»Bitte, unterlassen Sie es endlich, mir den politischen Flüchtling vorzuspielen!« Der Missionsleiter schlug gegen seine
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