Begegnung in Tiflis
Rocktasche. »Hier haben wir die einwandfreien Beweise, daß Sie lügen. Halten Sie mich nicht auf mit Ihren unverschämten Lügen! Man sollte Sie der Polizei übergeben.«
»Mein Herr!« Dimitris Augen wurden starr. »Was soll ich denn tun? Ich habe keinen Paß mehr, keine Heimat, kein Geld, keine Kleidung, nur diesen geliehenen Smoking. Ist das denn kein Beweis genug? Wenn ein Mensch in einem Smoking flüchtet … hat er dann nicht einen großen Grund?«
»Ich habe mich an meine Anweisungen und an die Recherchen zu halten, die vorliegen.« Die Stimme des Deutschen klang kalt. »Bitte, gehen Sie!«
Dimitri verzichtete auf weitere Worte. Er schob ein Buch beiseite, auf dessen Einband stand: ›Das gastliche Deutschland‹, und ging in die Eingangshalle. Bevor er das Gebäude verließ, drehte er sich noch einmal um und schüttelte den Kopf. Sein Blick war wehmütig, wie der eines Kindes, das man von einer Wiese vertreibt, auf dem es so fröhlich mit einem Ball gespielt hat.
»Ich verstehe das alles nicht«, sagte er. »Ich bin doch Dimitri Sergejewitsch Sotowskij. Warum glauben Sie den anderen und nicht mir?«
Dann ging er, den Kopf nach vorn gesenkt, mit hängenden Armen, ging die Straße hinunter, zwischen Palmen und Agavenhecken, bis die Nacht ihn aufnahm wie einen schmalen Schatten.
Er ging ins Nichts.
Der Leiter der Handelsmission schloß die Tür, sah auf seine Armbanduhr und knurrte etwas von verlorenen Stunden. Man darf ihm das nicht übelnehmen. Zuviel wird im Orient betrogen, und sehr kritisch muß man sein, um aus vielen Lügen die wenige Wahrheit herauszuschälen. Eine Zwiebel, sagt man, hat sieben Schalen, bis der eigentliche Kern kommt – eine Lüge hat hundert, und der Kern der Wahrheit ist klein wie ein Mohnkorn.
Es war die Tragik Dimitris, daß Lüge und Verschleierung der Wahrheit dicker waren als hundert Zwiebelschalen.
*
Die Nachrichtenübermittlung zwischen Wolfgang Wolter und Jurij Alexandrowitsch Borokin stockte. Oberleutnant Wolter war seit vierzehn Tagen irgendwo an der Zonengrenze und schwieg. Das machte Borokin nervös, denn so viel Zeit die russische Diplomatie sonst hat und sich mit der Uhr verbündet, die auf ihrer Seite ist – was bedeutet für einen Russen schon ein Jahrzehnt? –, so eilig war es jetzt, die Spanne zwischen Verschwinden und Wiederauftauchen dieser Bettina Wolter auszunützen. Daß die Lüge, Bettina befände sich in Moskau, einmal platzen würde wie ein morscher Ballon, war Borokin klar; aber bis zu diesem Ereignis mußte man wissen, was in den Wäldern entlang der Zonengrenze geschah und welche psychologischen Propagandamittel eingesetzt wurden, um die Bewohner der DDR ideologisch zu unterhöhlen.
Wolfgang Wolter schwieg. Borokin sah ein, daß es unmöglich war, an ihn heranzukommen, und daß auch der Oberleutnant keine Möglichkeit hatte, sich bei ihm zu melden. Aber Irene Brandes war greifbar. Sie konnte zum Drehpunkt aller Nachrichten werden, zu einer Zwischenstation zwischen Bonn und Moskau.
Borokin handelte so kalt, wie es in seiner Natur lag. Er bestellte Irene Brandes in die sowjetische Botschaft und bewirtete sie mit Krimwein und Buttergebäck. Ein lauer Sommerabend war es; über den Rhein strich ein warmer Wind; von Bonn her zog eine Flotte weißer, mit bunten Lampen illuminierter Schiffe den Strom hinauf.
Abendfahrt zum Siebengebirge mit Tanz.
Restauration an Bord.
Singen und Schunkeln.
Warum ist es am Rhein so schön …
Wenn das Wasser im Rhein gold'ner Wein wär' …
Der Gesang klang hinüber bis zu dem weißen Schlößchen unterhalb des Rolandsbogens. Borokin stand am Fenster seines Büros und wippte auf den Zehenspitzen.
»Das Leben ist schön, Irene«, sagte er.
»Was wollen Sie von mir, Borokin?« Irene Brandes hatte sich widerwillig gesetzt. Eigentlich war sie nur gekommen, um zu sagen, daß dies ihre letzte Begegnung mit Borokin sein würde. »Ich habe den Kontakt mit Wolfgang Wolter ermöglicht. Es ist meine letzte Arbeit für Sie. Und Sie haben versprochen, daß danach meine Mutter freigelassen wird.«
Borokin nickte. Er trat ins Zimmer zurück und schloß das Fenster. »Ihre Mutter befindet sich bereits in der Nähe der Grenze.«
»Ist das wahr?« Irene sprang auf. Alle Vorsätze, hart mit Borokin zu sprechen, jetzt ihrerseits Forderungen zu stellen, waren mit diesem einen Satz wie weggewischt. Ihr Herz zuckte, und sie spürte, wie das Zucken sich auf ihrem Gesicht fortsetzte.
»Habe ich jemals gelogen?« fragte Borokin
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