Begegnung in Tiflis
Tanzmädchens, sondern das Opfer einer unverständlichen politischen Geistesverwirrung geworden war, meldete sich Schejin in der sowjetischen Botschaft von Beirut und erzählte dem Genossen Botschafter, was vorgefallen war.
»Unerklärlich ist das!« sagte Schejin und schlug die Hände zusammen wie ein Beckenschläger in einer Militärkapelle. »Er wurde aus Tiflis als ein treuer, als ein mustergültiger Genosse gemeldet. Zum Oberingenieur hatte man ihn vorgeschlagen. Ein junger, begeisterter Kommunist war er! Es ist undenkbar, daß er aus politischer Überzeugung sich in den dekadenten Westen abgesetzt hat. Ein Unglück muß passiert sein.«
Das Unglück klärte sich schnell auf.
Ein Mittelsmann in der amerikanischen Botschaft rief vom Bazar aus an. Im Gebäude der Botschaft befinde sich ein junger Russe und werde schon den ganzen Vormittag vom Militärattaché verhört.
»Aha!« schrie Schejin und tanzte durch das Zimmer wie ein von Ameisen Gestochener. »Die Amerikaner! Immer die Amerikaner! Da haben wir es! Entführt haben sie ihn! Und nun pressen sie aus ihm die neuen Raffinieranlagen in Tiflis heraus!«
Zwischen Beirut und Moskau gab es ein langes Telefongespräch. Im Außenministerium in Moskau war man etwas betroffen, mehr aber nicht. Abwarten, sagte man. Genauere Informationen bekommen. Wir werden in Tiflis einmal die Familie Sotowskij durchleuchten.
Und während Dimitri ein gutes Mittagessen bekam, aber nicht wußte, was weiter mit ihm geschehen würde, erschienen vor der Wohnung Kolka Iwanowitsch Kabanows drei Milizsoldaten, klingelten und traten die Tür ein, als sich niemand meldete.
Die Wohnung war so, wie Kolka und Bettina sie verlassen hatten. Nicht einmal staubig war sie, denn es waren ja gerade einige Stunden seit ihrem Weggang verstrichen. »Verreist sind sie«, sagte die Nachbarin, die neugierig in das Haus sah, weil der Jeep der Miliz vor der Tür stand. »Zu einer Tante oder sonst wohin. Nach Batum, sagte Kolka Iwanowitsch. Und sein Sohn, der Dimitri ist in Beirut.«
In der Wohnung fanden die Polizisten nichts, was nach Vaterlandsverrat aussah. Sie versiegelten die Tür und schrieben eine Meldung, daß hier ein Irrtum vorliegen müsse.
»Ich verstehe das nicht«, klagte Schejin, als ein Fernschreiben aus Tiflis eintraf und neue Rätsel aufgab. »Ein so lieber Mensch. Er muß verrückt geworden sein, plötzlich verrückt. Anders ist es nicht erklärlich, Genossen.«
Der liebe Mensch saß unterdessen in der deutschen Handelsmission und erzählte noch einmal seine Geschichte. Die Amerikaner hatten ihn zu den Deutschen gebracht, nachdem er auf die Frage: »Wollen Sie in die USA?« ebenso klar geantwortet hatte: »Nein. Ich will nach Deutschland.«
»Dann sind Sie hier falsch, Mister Sotowskij«, antwortete man, hielt sich nicht länger mit ihm auf und brachte ihn auf deutschen diplomatischen Boden.
»Das ist alles sehr wildbewegt, was Sie da erzählen«, sagte der Leiter der Handelsmission, der Sotowskij ausfragte, und musterte den jungen Russen nachdenklich. »Aber bevor wir Ihnen Schutz und Hilfe gewähren, müssen wir nachprüfen, ob Ihre Angaben auch stimmen. Sie können sich nicht ausweisen?«
»Nein«, sagte Dimitri. »Man hat mir ja meinen Paß bei der Ankunft in Beirut abgenommen.«
»Und Sie behaupten, die deutsche Stewardeß Bettina Wolter zu kennen und ihretwegen Rußland verlassen zu haben. Fräulein Wolter ist nach einer Notlandung in Tiflis zu Ihnen geflüchtet? Wieso überhaupt geflüchtet und wieso zu Ihnen? Hatten Sie früher schon Verbindung zu Fräulein Wolter?«
»Es war ein Zufall. Ich erklärte es Ihnen doch. An der Ölleitung, in der Nacht.«
»Natürlich, natürlich.« Der deutsche Bevollmächtigte nickte. Das hört sich an wie ein Roman, dachte er. Irgendwo habe ich so etwas auch schon gelesen. Aber wo? Er sah Dimitri forschend an, hob dann die Schultern und verließ das Zimmer. Dimitri blieb allein zurück mit drei Zigaretten und einer Flasche Sprudelwasser.
Andreij Safonowitsch Schejin sprang wie elektrisiert auf, als bei ihm das Telefon läutete und sich die deutsche Handelsmission meldete. Ein Beamter der Mission bat darum, ihn mit dem Delegationsmitglied Sotowskij zu verbinden.
»Haben wir nicht!« rief Schejin mit Trompetenstimme. Dabei zuckte sein Herz. Die Deutschen! Was haben die Deutschen mit Sotowskij? Sollte es doch politisch sein? Er begann zu schwitzen und verfluchte die Politik, die den Menschen doch nur Ärger und Aufregung bringt und im
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