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Begegnungen (Das Kleeblatt)

Begegnungen (Das Kleeblatt)

Titel: Begegnungen (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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gedämpftes Licht getauchten Raum und blieb vor ihr stehen. „Ein Märchenprinz? Heldenhafter Ritter? Adonis?“, ergänzte er ihren angefangenen Satz. Er ließ sich vor ihr auf die Hacken nieder und schloss wie selbstverständlich seine Finger um die winzige Babyfaust, während er mit der anderen sacht über den Haarflaum des Jungen strich.
    Außerdem hatte er die schönsten Hände, die sie je bei einem Mann gesehen hatte, lang und schmal, makellos und ohne Zweifel professionell gepflegt. Dabei musste selbst er auf seinem steilen Weg die Karriereleiter nach oben irgendwann als Teerjacke begonnen haben. Mit diesen Händen erschien es ein Ding der Unmöglichkeit, körperlich schwere Arbeit zu verrichten. Wie sollten solche Finger Tampen spleißen oder Leinen aufschießen? Oder tagelang Rost klopfen, labsalben und Ladegeschirr bedienen? Womit immer die Matrosen sich an Bord die Arbeitszeit vertrieben, es gab wohl kaum eine Tätigkeit, bei der sie sich nicht die Hände ruinierten.
    „Ich habe eine Überraschung für dich.“
    „Noch eine Überraschung?“ Voller Skepsis versuchte sie in den vor Intelligenz sprühenden Augen zu lesen, welcher Art diese neuerliche Aufmerksamkeit wohl sein mochte. „Überraschungen hast du mir, glaube ich, in letzter Zeit schon einige zu viel bereitet. Ich bezweifle, dass ich momentan noch mehr davon verkraften kann. Gönne mir eine Auszeit.“
    „Susanne. “ Er seufzte schuldbewusst und fuhr sich mit den Fingern so gekonnt durchs Haar, dass er es dabei nicht ein bisschen durcheinanderbrachte. „Suse, ich möchte dir wirklich bloß eine Freude machen. Du wolltest mit Adrian reden. Ich habe von seinem Arzt die Erlaubnis für einen Besuch erhalten.“

2 1. Kapitel
     
    Sie holte hektisch Luft und atmete zittrig wieder aus. Im ersten Augenblick wusste sie nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, weil ihr Freude und Furcht gleichermaßen die Kehle zuschnürten.
    „Wann?“, presste sie hervor.
    Er zog eine goldene Uhr aus der Hosentasche. „In knapp zwei Stunden beginnt die Besuchszeit. Ich werde dich nach Gehlsheim fahren, wenn du das möchtest. Mit der S-Bahn ist es eine recht umständliche Fahrt.“
    „Du willst nicht mitkommen?“, rief sie erschreckt aus. Sie achtete nicht auf den kleinen Jungen, dessen Fäuste ruckartig durch die Luft fuhren, während er leise wimmernd die unsanft entzogene Brustwarze suchte. „Ich … ich kann doch aber … nicht alleine dorthin“, flüsterte sie. „Würdest du … Komm mit, Matt’n. Bitte.“
    Der Kapitän merkte auf. Bitte. Mit ernster Miene musterte er sie. Das war das erste Mal, dass sie ihn um etwas bat. Sie hatte tatsächlich Angst vor dieser Begegnung.
     
    Als er am Ende des Ganges auftauchte, stockte ihr der Atem. Eine eiskalte Hand umkrallte ihr Herz und presste es zusammen, bis das Blut schmerzhaft in ihren Ohren rauschte.
    Mit müde schlurfenden S chritten näherte er sich. Er bewegte sich unsicher vorwärts, wankte leicht, als würde er unter Drogen stehen. Seine hohen Wangenknochen zeichneten sich überdeutlich unter der bleichen Haut ab. Sie hatten ihm das Haar bis auf wenige Millimeter geschoren, was sein krankhaftes Aussehen noch verstärkte. Eine dunkle Brille verdeckte seine Augen. Obwohl die Heizungsanlage auf Hochtouren lief, trug er einen über die weiten Hosen fallenden, dicken Pullover, der ihm mehrere Nummern zu groß war.
    Schwarze Hosen. Weißes Oberteil. Schwarz und weiß. Er hatte nie etwas anderes getragen. Keine Farben. Kein Leben. Konnte ein Mensch dermaßen farblos werden, dass er eines Tages nicht mehr sichtbar war? Es schien, als würde er in dem Weiß der Wände und der Krankenhauseinrichtung aufgehen, als würden seine Konturen verschwimmen, bis er sich irgendwann selbst auflösen würde.
    Und dann standen sie sich gegenüber, das erste Mal seit Monaten, wie zwei Fremde, die nicht wussten, wo sie mit einer Unterhaltung beginnen sollten. Scheu, abwartend, sich leise aufeinander zu tastend wie Blinde.
    „Hallo Adrian. Es ist schön, dich wiederzusehen. Wie geht es dir?“
    Er öffn ete mühsam seinen Mund, bekam allerdings keinen Ton über die Lippen. Er räusperte sich mehrmals und würgte schließlich krächzend hervor: „D-danke.“
    „Wir sind vor einigen Tagen nach Hause ge kommen, um mit dir Weihnachten zu feiern.“
    „Ja.“
    „Meine Eltern wollten mich zunächst gar nicht gehen lassen. Glücklicherweise habe ich eine Fluggesellschaft gefunden, die uns einen Sondertarif geboten hat. Also

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