Begegnungen (Das Kleeblatt)
sich der Junge unter der sanften Berührung zu regen begann und zwei winzige Fäustchen ruckartig durch die Luft fuhren.
Es war nicht zu übersehen, wie Adrian mit sich rang. Allerdings konnte auch er nicht lange der Versuchung widerstehen, mit seinem Zeigefinger über die Hand des Kindes zu streichen, bis sich die kleine Faust reflexartig öffnete und fünf zerbrechliche Fingerchen seinen Finger umklammerten.
Suse presste die flache Hand vor den Mund, weil sie die feuchte Spur bemerkte, die eine Träne auf ihrem Weg über Adrians Wange auf seiner bleichen Haut hinterließ. Sie konnte seine Augen hinter den dunklen Brillengläsern nicht erkennen, trotzdem wusste sie, dass er lächelte.
Langsam stand Adrian auf. Seine Schultern strafften sich, als er das Café durchquerte, seine Schritte wurden fester, raumgreifender. Fast schien es, das hilflose Wesen in seinem Arm hätte ihm wie durch Zauberei einen Teil von seiner künftigen Kraft abgegeben. Mit seiner tränennassen Wange berührte er immer wieder die Pausbäckchen des Jungen und atmete mit geschlossenen Augen seinen unschuldigen, reinen Duft ein.
Matthias legte seine Hand auf Suses Unterarm, als sie aufstehen und den beiden hinterher laufen wollte. „Keine Angst, Susanne. Lass ihnen diese Zeit.“
Mit zusammengekniffenen Augen und voller Anspannung verfolgte sie jeden Schritt ihres Mannes. Stolz trug er seinen Sohn vor sich her. Den Bewegungen seines Kopfes nach zu urteilen, redete er sogar mit dem Kind, das in seinem Arm lag.
Z ögerlich näherte sich ein weißhaariger Mann in ausgeblichener Krankenhauskleidung den beiden. Er deutete auf Manuel und öffnete seinen zahnlosen Mund. Ein anderer Patient sagte offenbar etwas Anerkennendes zu dem jungen Vater, denn Adrian nickte mit hoch erhobenem Haupt. Unvermittelt sah er sich umringt von gaffenden Menschen, die ihre Finger nach dem Kind ausstreckten. Adrian wich einen Schritt zurück, bis er die Wand im Rücken spürte, die ihm den Weg versperrte. Der Kreis um ihn zog sich zusammen, wurde enger, so eng, bis er kaum noch Luft bekam.
Sus anne fuhr entsetzt von ihrem Stuhl in die Höhe und hastete hinaus auf den Flur. „Adrian, warte! Bleib hier!“ Obwohl sie wusste, dass sie unbegründet war, gelang es ihr nicht, die Panik in ihrer Stimme zu unterdrücken.
Adrian drückte das Kind dichter an seine Brust. Keuchend rang er um Atem, sein Kopf flog hektisch von einer Seite zur anderen. Und dann begann er zu laufen. Weg! Weg von all diesen Menschen, die ihre gierigen Hände nach ihm ausstreckten und ihm sein Baby wegnehmen wollten. Mit den Ellenbogen drängte er die sabbernden, quiekenden und kreischenden Gestalten zur Seite.
„Adrian, nicht! Wo willst du hin? Gib mir Manuel!“
Abrupt blieb er stehen und starrte seine Frau an, die ihn schnell eingeholt hatte. Er kümmerte sich nicht um die Tränen, die seinen Blick verschleierten und ihm in Strömen die Wangen hinab rollten. Er schüttelte den Kopf und stöhnte gequält auf.
„Nein. Bitte , ich will ihn behalten. Es ist meins“, hauchte er mit flehender Stimme. „Nimm ihn mir nicht wieder weg. Ich habe lange gewartet. So lange, Sanni. Auf euch. Hilf mir.“
Für einen Augenblick abgelenkt durch Susanne bemerkte er den Hünen nicht, der sich hinter ihm aufgebaut hatte. Unsanft wurde Suse von einem zweiten Pfleger zur Seite gestoßen, der Adrian das Kind mit einer heftigen Bewegung aus den Händen riss und es seiner Mutter mit einer ungeduldigen Geste geradezu in die Arme warf.
Noch ehe Adrian seine m Unmut Ausdruck verleihen konnte, wurden ihm die Arme auf den Rücken gedreht. Er schrie zornig auf und wehrte sich verzweifelt gegen diese rüde Behandlung, aber er hatte nicht mehr die Kraft, es mit zwei Männern aufzunehmen, die ihm an Größe und Gewicht weit überlegen waren. Wie eine Spielzeugpuppe nahmen sie ihn in ihre Mitte und schleiften ihn mit sich.
„ Nein! Gebt mir … mein Baby!“ Immer und immer wieder gellten diese Worte durch den langen Gang und erschütterten Susanne. „Mein … mein Baby! Sanni!“
Seine heiseren Schreie waren auch dann noch zu hören, als er längst nicht mehr zu sehen war, weil die beiden Pfleger ihn durch eine Tür am Ende des Flures gezerrt hatten.
Susanne erwachte aus ihrer Starre und bemerkte Clausing an ihrer Seite , der ihr Manuel abnahm und den Jungen in sein Körbchen legte.
„Matt ’n, du musst ihm helfen!“, flüsterte sie. „Hilf Adrian! Er wollte seinen Sohn sehen. Nichts anderes. Ich verstehe
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