Begegnungen (Das Kleeblatt)
Schwatzhaftigkeit war des Öfteren Anlass für Streitigkeiten zwischen ihnen gewesen. Sie hatte nichts gelernt während der Zeit ihrer Trennung. Sogar jetzt ging sie ihm auf die Nerven. Warum sollte Adrian ihr Geplapper ausgerechnet heute nicht stören? Wie viel angenehmer musste ihm die Gesellschaft von Clausing auch in dieser Beziehung sein! Sie würde dem Kapitän nie das Wasser reichen, geschweige denn mit ihm Schritt halten können.
„Nein.“ Adrian blieb stehen und schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein.“
Er schien zu überlegen, bevor er flüsterte: „Susann i.“
Sie hatten das kleine, spärlich möblierte Café erreicht, in dem sich kaum eine Handvoll Patienten mit ihren Besuchern aufhielt. Mechanisch setzte Adrian einen Schritt vor den anderen und folgte Su se, ohne nach links und rechts zu sehen, ohne jede Gefühlsregung, stumm. Er blickte selbst dann nicht auf, als sie auf einen Tisch in der hintersten Ecke deutete.
„W as meinst du, wollen wir uns zu den beiden Männern dort setzen? Ich glaube, sie warten gerade auf uns.“
Unschlüssig stand er vor dem Tisch und starrte auf seinen Freund, der m it einem zufriedenen Grinsen, ein Bein über das andere geschlagen, den schlafenden Säugling in seinem Arm wiegte.
„ Guck ihn dir an. Es ist deiner, Adrian“, hörte er Suses sanfte Stimme. „Dein Sohn. Manuel.“
Mit einem Mal war ihm, als hätte sich ein Knoten in seiner Brust gelöst. Er atmete tief durch. „Meins.“
Der Kapitän hob kumpelhaft eine Hand zum Gruß. „Hallo Ossi. Frohe Weihnachten! Willst du wissen, was ich dir für ein Geschenk mitgebracht habe?“ Stolz, als wäre es sein eigenes, hielt Matthias seinem Freund das kleine Bündel von einem Menschen entgegen.
„Matt ’n.“
Suse hatte die winzige Veränderung in Adrians Miene wahrgenommen. Er schien sich zu fragen, was ein anderer Mann mit seinem Sohn wollte. Und wieso redete er von einem Geschenk, das er ihm brachte? Es war sein Sohn! Misstrauen presste seinen Mund zu einem Strich zusammen.
„Matt ’n war so nett, uns mit dem Auto hierher zu fahren“, erklärte Suse eifrig und riss ihn damit aus seinen düsteren Gedanken. „Es ist furchtbar umständlich mit der Bahn und gerade bei diesem Wetter alles andere als ein Vergnügen. Und dann ständig diese Verspätungen. Aber das kennst du ja selbst.“
„Setz dich zu uns, Ossi.“ Der Kapitän rückte einen Stuhl zurecht. „Warum trägst du hier drin eine Sonnenbrille?“
„Probleme … mit … mit dem Licht.“
„Na los, nimm schon Platz. Möchtest du etwas trinken? Wasser und Kaffee? Soll ich dir zur Feier des Tages ein Stück Weihnachtsstollen holen?“
Hektisch flog Adrians Kopf hin und her. Sein Unterkiefer zitterte, als er kaum hörbar hervorstieß: „N-nein! Danke.“
Vorsichtig ließ er sich auf den Stuhl sinken und rutschte bis zur Kante vor, konzentriert und angespannt, als wartete er lediglich darauf, jeden Moment wieder aufzuspringen.
„Nicht gerade das ‚ Hilton’, wie?“, spöttelte Matthias, um Suse von Adrians eigenartigem Verhalten abzulenken und die Situation zu entspannen. „Der Kaffee dagegen ist durchaus genießbar. Kannst dir eine Tasse aussuchen, wenn du nur meinen nicht anrührst.“
Suse bemerkte, wie Adrian unverwandt zu Matthias schaute. Warum zeigte er keinerlei Reaktion, wenigstens ein wenig Freude darüber, dass sie ihn besuchten?
„Möchtest du Manuel auch einmal halten?“ Sie fühlte seine Augen unter der dunklen Brille auf sich gerichtet und nickte ihm aufmunternd zu. „Es ist nicht schwer, Adrian. Versuche es. Matt’n zeigt dir, wie du seinen Kopf stützen musst. Erstaunlicherweise stellt sich unser Kapitän nicht mal so blöd an, was Kinderpflege angeht.“
Als Adrian das kleine Bündel zögernd aus Clausings Händen entgegennahm und sacht an seine Brust drückte, spürte er einen schmerzhaften Stich in seinem Herz. Ein Muskel um seinen Mund zuckte und es hatte beinahe den Anschein, als wollte er lächeln.
„Meins . Mein Baby. Manuel … Manuel Adrian Patrick“, murmelte er und Suse glaubte, einen zärtlichen Ton in seiner brüchigen Stimme zu hören. „ Nach raibh ach áthas agat o lá seo amach, mo mhac.”
Verzückt blickte er von seiner Frau zu dem Kind. Ehrfürchtiges Staunen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Mit der Fingerspitze streichelte er über die rosigen Bäckchen seines Sohnes und fühlte die seidenweiche Haut, die ihn an seine Frau erinnerte. Erschrocken zuckte seine Hand zurück, als
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