Begegnungen (Das Kleeblatt)
um ihn gebildet hatten. Er ließ seinen müden Blick über die Frauen, Greise und Kinder schweifen. Seine Augen brannten von dem gleißenden Licht der Sonne, doch konnte genauso der seit Tagen kaum ausreichende Schlaf der Grund dafür sein. Seine Ungeduld und eine vage Hoffnung, endlich auf eine heiße Spur gestoßen zu sein, ließen ihm keine Ruhe, seit er afrikanischen Boden betreten hatte. Unbarmherzig hatten sie ihn bis zur totalen Erschöpfung vorangetrieben.
Mehr als sieben Jahre war er bereits auf der Suche. Mit einem Mal, ausgerechnet hier und jetzt, hatte er Angst davor, zu spät zu kommen.
Die Dorfbewohner starrten ihn stumm an. Keine Gefühlsregung war auf ihren Gesichtern auszumachen, weder Interesse, noch Wohlwollen, Ablehnung oder Misstrauen. Nichts. Sie verzogen nicht einmal eine Miene bei seinen lächerlich anmutenden Versuchen, sich mit Händen und Füßen verständlich zu machen. Lediglich eine winzige Spur Neugier konnte er in den dunkelbraunen Augen der kleineren Kinder finden.
Nicht zu Unrecht kam er sich wie ein Eindringling vor. Er konnte die Kälte, die von den Menschen ausging, geradezu körperlich spüren. Verzweiflung stieg in ihm auf und ließ sein Herz rasen. Sollte es nicht wenigstens einen unter ihnen geben, der seinen suchenden Blick erwiderte, irgendjemanden, der ihm die eine Auskunft gab, die er benötigte, um endlich Gewissheit zu erlangen? Warum verschlossen sie sich seiner Bitte um Hilfe?
Sein Mut hatte ihn beinahe schon verlassen, als ihm die rettende Idee kam. Hastig wühlte er in seinen Hosentaschen. Vielleicht könnte er sie mit Geld gesprächiger machen? Gegen diese Verlockung war man nirgends auf der Erde immun. Warum sollte es ausgerechnet hier, am Ende der Welt, anders sein? Obwohl er die Möglichkeit durchaus in Betracht ziehen musste, war es nicht sehr wahrscheinlich, dass in diesem unwirtlichen Landstrich noch mit Steinen bezahlt wurde.
Bevor er allerdings dazu kam, mit einem Bündel zerknüllter Scheine in der Hand vor den Nasen der Eingeborenen zu wedeln, ging ein Raunen durch die Menge, die sich gleich darauf teilte. Der hoch gewachsene Fremde blinzelte mit zusammengekniffenen Augen. Hatten sie seinen Wink verstanden? Er konnte nicht sofort erkennen, wem die Menschen murmelnd Platz machten, bis schließlich ein kleines Kind in der vordersten Reihe erschien.
Überrascht schaute er auf die nackten, hellhäutigen Füßchen und dün nen Beine. Wenngleich sie von der sengenden Sonne Afrikas tief gebräunt waren, konnten sie ihre europäischen Wurzeln nicht verleugnen. Das Mädchen, ein zartes Ding von vielleicht vier oder fünf Jahren, hatte auch nicht das krause Haar der Einheimischen. Die langen, braunen Haare schimmerten in einem leicht rötlichen Ton. Unzählige Zöpfchen, in die ein augenscheinlich höchst geduldiger Mensch bunte Bänder und Perlen geflochten hatte, zierten ihren Kopf.
Widerwillig ließ sich das Mädchen nach vorne schieben. Eine aufgeschwemmte Frau mit einem Säugling auf dem Rück en bückte sich zu ihr hinab, belferte irgendetwas Unverständliches und stieß sie dann grob an der Schulter auf den Mann zu. Die Kleine stolperte über ihre Füße und hielt sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
Instinktiv streckte er seine Arme aus, um sie aufzufangen, aber sie wich mit einem unterdrückten Laut des Entsetzens zurück . Hilfe suchend warf sie einen Blick über ihre Schulter. Dabei wusste sie längst, dass ihr niemand beistehen würde. Als würde sie abwägen, von welcher Seite ihr größere Gefahr drohte, trat sie endlich mit niedergeschlagenen Augen einen Schritt auf ihn zu.
„ Bonjour, monsieur “, wisperte sie. „Die Leute … sie wollen wissen, was du hier willst, in ihrem Dorf.“
Voll Erstaunen vernahm er das dünne Stimmchen, das vor Aufregung zitterte. Sie sprach ein fließendes, geradezu akzentfreies Französisch. Wahrscheinlich gehörte sie zu einer der Familien von Missionaren und medizinischem Personal, das sich hier aufhielt.
„Mein Name ist Alain Germeaux. Ich bin in euer Dorf gekommen, weil ich jemanden suche.“
Noch immer hielt das Mädchen den Blick gesenkt und erwiderte nichts. Alain befürchtete schon, die Kleine hätte ihn möglicherweise doch nicht verstanden.
„Ich suche eine weiße Frau“, sprach er langsam und deutlich weiter, „eine große Frau mit grünen Augen und roten Haaren.“
Ihm schien, als würde sie bei seinen Worten erstarren. Das leichte Zucken ihrer Mundwinkel verriet ihm, dass er auf der
Weitere Kostenlose Bücher