Begegnungen (Das Kleeblatt)
für sich selbst. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals einen Weihnachtsbaum für mich aufstellen ließ oder mir ein Geschenk in den Strumpf gesteckt hat, den ich in meiner kindlichen Einfalt Jahr für Jahr in den Kamin hängte.“
„Ich wollte keine alten Wunden aufreißen, Matt ’n. Eigentlich habe ich nur deshalb gefragt, weil ich mir bisher nicht vorstellen konnte, wie eng Adrians und deine Vergangenheit miteinander verbunden sind.“
„Ja, unvorstellbar. Aber so ist das nun einmal.“
„Adrian kann sich glücklich schätzen, dich zum Freund zu haben.“
Mit einem Mal wusste Susanne, was sie zu tun hatte. Obwohl die Geschehnisse in der Vergangenheit der beiden Männer fast mehr war, als sie ertragen konnte, musste sie sich ihnen stellen. Denn nur auf diese Weise konnte sie Adrian und Matthias helfen.
Matthias blieb so unvermittelt stehen, dass sie das Gleichgewicht verlor und beinahe auf dem Schnee ausrutschte.
„Du irrst“, stieß er atemlos hervor. Seine Stimme war frostig und hart wie das Winterwetter, sein Blick schneidend wie der Seewind. „Du irrst dich ganz gewaltig, wenn du das glaubst, meine Süße. Von dieser Freundschaft habe einzig und allein ich profitiert. Und jetzt hör auf, mich noch länger mit diesen alten Geschichten zu quälen. Sie sind nichts, worauf ich stolz sein könnte.“
Das letzte Stück bis zum Yachthafen legten sie schweigend zurück. Mit gespielter Aufmerksamkeit starrten sie auf den zugefrorenen Fluss, der sich ein paar hundert Meter weiter nordwärts in der Ostsee verlor. Wie in jedem Winter hatten es auch dieses Mal einige Schwäne und Enten nicht geschafft, sich rechtzeitig einen Schlafplatz an Land zu sichern und waren über Nacht auf der Wasseroberfläche festgefroren.
„ Schade, dass es heute dermaßen stürmt. Jedes Mal, wenn ich hier bin, gehe ich nämlich die Mole entlang und dann vor bis zum Leuchtturm. Das war unser Lieblingsplatz. Bea und ich konnten stundenlang dort sitzen. Wir haben uns den Wind um die Nase blasen lassen, bis wir vor Kälte fast blau gefroren waren und lediglich ein steifer Grog uns wieder zum Leben erwecken konnte. Oder drei.“
„Was ist eigentlich aus ihr und Alain geworden?“
„Ich habe keine Ahnung. Sie hat mich im Krankenhaus besucht, als ich das erste Mal … nach dem Untergang der ‚Fritz Stoltz’. Danach hat sich Beate nicht mehr bei mir gemeldet. Ist einfach aus meinem Leben verschwunden, als wären wir nie unzertrennlich gewesen. Und ich bin nicht auf die Idee gekommen, etwas dagegen zu tun, weil ich viel zu sehr mit mir selber beschäftigt war.“
„ Alain ist nicht lange in Rostock geblieben, obwohl wir es ihm angeboten hatten, als er auf der Suche nach Beate war.“
„Das war schade.“ Suse rieb sich die Nasenspitze, um ihre Verlegenheit zu überspielen. „ Man konnte sich gut mit ihm unterhalten. Er ist sehr nett, findest du nicht?“
„Ja. Doch. Kann man nicht anders sagen.“
„Außerdem bin ich noch nie einem Franzosen mit einem derart akzentfreien Deutsch begegnet.“
„Stimmt. Seine Aussprache ist erstaunlich.“
„Hast du gewusst, dass ihm eine Spenderniere transplantiert wurde?“
„Er hat es erzählt, nachdem ich mich über die Unmengen an Tabletten gewundert habe, die er in sich reingeschaufelt hat. Brutal. Aber es schien ihm recht gut damit zu gehen.“
Es war nicht mehr als ein kümmerlicher Versuch, etwas in Gang zu halten, das nur im Entferntesten einer Unterhaltung gleichkam. Sie waren beide mit ihren Gedanken nicht bei der Sache.
„Habt ihr euch eigentlich seine Adresse in Paris geben lassen? Auch mein Adressbuch ist damals mit der ‚Fritz Stoltz’ untergegangen und irgendwie habe ich es nie mehr geschafft, für Ersatz zu sorgen. Wenn dieser blöde Krankenhausaufenthalt nicht gewesen wäre …“
… würde sie jetzt nicht mit Matt’n an der Seite durch Warnemünde bummeln.
„Ich werde dir Alains Anschrift zu Hause raussuchen. Wir wollten uns bei ihm melden, sobald wir etwas von Beate gehört haben.“
„Ja. Möglicherweise ist sie in der Zwischenzeit sogar wieder aufgetaucht und sie hatte bloß noch keine Gelegenheit, uns davon zu unterrichten.“
G edankenverloren strich sie ihrem Baby über die rosige Wange. Lediglich sein Köpfchen schaute aus dem Ausschnitt ihres Wintermantels hervor. Mit einem sehnsuchtsvollen Blick verfolgte Matthias jede ihrer zärtlichen Handbewegungen.
„ Befürchtest du nicht, es könnte ihm zu kalt werden?“
„So dicht an mich
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