Begegnungen (Das Kleeblatt)
Fremden war für sie uninteressant geworden, nachdem sie mit ansehen mussten, dass er sein Geld in der Hosentasche verstaute und ohnehin nur Französisch sprach.
„Können sie uns verstehen?“
„Nein, sie sprechen alle Bapuru .“
„Die Frau mit den grünen Augen. Ist sie deine Mama?“
Catherine wiegte den Kopf hin und her.
Alain seufzte. Das war doch keine Antwort! Es fiel ihm zunehmend schwerer, seine Ungeduld niederzukämpfen. „Warum willst du mir nicht den Namen deiner Mama sagen?“
Das Mädchen hob die Schultern und blickte Alain mit einem Ausdruck de s Bedauerns an.
„Wo ist sie jetzt?“
„Nicht hier.“
Alain beugte ein Knie, ließ sich darauf sinken und betrachtete Catherine. Obwohl sie sich beide auf gleicher Augenhöhe befanden, wich das Mädchen erschrocken einen Schritt zurück. Sie wusste, das war eine dumme Antwort, und Angst vor dem Fremden nistete sich in ihr ein. Wenn er wollte, konnte er ihr wehtun, und niemand würde ihr dann zu Hilfe kommen. Für eine dumme Antwort musste man bestraft werden, das hatte ihr der Pater bereits mehrmals schmerzhaft beizubringen versucht.
„Bleib hier.“ Alain streckte mit einem schiefen Lächeln seine Hand nach ihr aus. „Bitte, Catherine. Du musst dich nicht vor mir fürchten. Ich möchte mich bloß mit dir unterhalten.“
Sie legte den Kopf schief und beobachtete argwöhnisch jede seiner Bewegungen.
„Wohnt die weiße Frau mit den grünen Augen in eurem Dorf?“
Catherine nickte stumm. Sie durfte nicht lügen , denn das war eine Todsünde. Der Pater hatte ihr das gesagt und Gott würde sie dafür strafen und geradewegs in die Hölle schicken.
„Zeig mir ihre Hütte. Bitte, Catherine, ich brauche deine Hilfe. Du bist die Einzige, die mich versteht und mir helfen kann.“
Wortlos drehte sich das Mädchen um und ging langsam über den staubigen Platz.
Alain holte tief Luft. Sein Herz trommelte schmerzhaft in der Brust. Er war am Ziel! Und er hatte nicht nur Bea gefunden. Mit schleppenden Schritten folgte er dem Kind an das andere Ende des Dorfes. Die Kleine dagegen hüpfte wie verwandelt die vier ausgetretenen Stufen zur Veranda einer windschiefen Holzhütte nach oben. Sie öffnete die quietschende Tür und schlug ein löchriges Fliegennetz zurück. Dann drehte sie sich um und winkte Alain zu.
„Komm.“
Mit einem Mal plapperte sie munter drauflos. Jetzt musste sie nicht mehr lügen oder schummeln, wie ihre Mutter kleine Notlügen zu bezeichnen pflegte. Hier war sie zu Hause und niemand würde sie an den Haaren zerren oder schubsen und knuffen, bloß weil sie fröhlich sein wollte.
„Ich habe heute schon die Stube gekehrt, weißt du, und Wasser geholt. Aber nicht so viel wie Mama, weil der Eimer nämlich sehr schwer ist. Und ich werde ein Essen kochen. Magst du etwas Reis? Das Brot habe ich heute Morgen schon aufgegessen und es ist keines mehr da“, entschuldigte sie sich mit einem leisen Seufzer. „Das kann ich noch nicht alleine backen.“
Sie legte blinzelnd ein en Zeigefinger über den Mund und überlegte angestrengt. Was tat maman , wenn manchmal der Pater oder einer der Männer zu ihnen kam und sie ihre Gäste bewirten musste? Sie bot ihnen erst einen Stuhl und dann etwas zu trinken an. Ja, genau, das würde sie auch machen. Es blitzte schelmisch in den Augen des Mädchens, als sie den netten Herrn musterte. Verwundert stellte sie fest, dass er bloß zögerlich näher trat.
Wovor hatte er mit einem Mal Angst? Beate war nicht zu Hause, soviel war sicher. Trotzdem erschien es ihm wie ein Wiedersehen mit ihr, wenn er gleich die Schwelle zu ihrem Heim übertreten würde.
„Na, komm“, störte die Kleine seine abschweifenden Gedanken. Sie streckte ihm einladend eine kleine, schmutzige Hand entgegen.
Wieder hüpfte sie vergnügt über die Holzdielen des spartanisch eingerichteten Raumes, breitete ihre dünnen Ärmchen aus und drehte sich ausgelassen im Kreis. Ihr Lachen klang glockenhell und glücklich. Abrupt hielt sie inne und blickte Alain aus ihren türkisfarben schimmernden Augen an.
„Was trinken eigentlich so große Herren wie du?“, wollte sie wissen.
„ Mmmh, dasselbe wie kleine Damen, denke ich.“
Catherine kich erte hinter vorgehaltener Hand. „Ich bin doch keine Dame. Ich koche einen Tee, wenn du welchen magst.“
Tatsächlich wurde Alain in diesem Moment bewusst, seit Stunden nich ts mehr getrunken zu haben. Die Zunge klebte ihm wie ausgetrocknet am Gaumen.
„Das wäre sehr nett von dir. Merci bien,
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