Begegnungen (Das Kleeblatt)
richtigen Fährte war. Das Kind kannte Beate!
„Du kannst mich verstehen, nicht wahr?“, vergewisserte sich Alain erneut.
Das Mädchen biss sich auf die Lippen und nickte dann kaum merklich.
„Die weiße Frau mit den grünen Augen, du kennst sie?“
Wieder nickte die Kleine scheu und überlegte angestrengt. Sie hatte das Versprechen nicht vergessen, dass sie ihrer Mutter immer und immer wieder geben und jetzt einlösen musste. Ja, das war ganz bestimmt der Herr, den maman meinte, obwohl sie nichts von einer Brille erzählt hatte, an der sie ihn erkennen konnte. So einen großen, schönen Mann mit glatten Haaren, die in der Sonne geheimnisvoll glänzten, hatte sie nie zuvor gesehen.
A llerdings hatte ihre maman sie vor diesem Fremden gewarnt. Sollte er eines Tages hierher kommen, durfte sie auf keinen Fall mit ihm reden. Er war nicht böse, nicht so, wie die anderen weißen Männer, die hin und wieder im Dorf auftauchten. Trotzdem durfte er sie nicht finden. Und später irgendwann würde sie es ihr erklären. Nur jetzt eben nicht, weil sie noch so klein war.
Aber sie erinnerte sich genauso an Tage, da sprach maman von dem Herrn aus Paris mit warmer, sanfter Stimme. Und dann war er plötzlich gar kein Fremder mehr für sie. Sie redete nicht oft darüber, doch wenn sie Geschichten von ihrem Leben im fernen Europa erzählte, hörte das kleine Mädchen in der darauffolgenden Nacht die Frau mit den grünen Augen auf der Pritsche neben ihrem eigenen Bett leise weinen. Und in diesen Momenten wusste sie gar nicht mehr, ob dieser Mann ein guter oder ein böser Mensch war.
Es ist schrecklich kompliziert, seufzte das Mädchen in Gedanken. Und sie konnte es nich t verstehen, weil sie ja noch klein war. Und ihre maman sagte auch, dass sie nicht ununterbrochen diese neugierigen Fragen stellen sollte, weil sie den Mann mit den langen Haaren einfach vergessen wollte. Und basta!
Der schöne Franzose, der in diesem Moment vor ihr kniete und sie mit einem flehenden Ausdruck in den traurigen Augen anblickte, gefiel ihr. Ganz genau so stellte sie sich immer den Prinzen aus ihrem Märchenbuch vor und er passte gut mit maman zusammen, weil sie beide helle Haut und glattes Haar hatten und Französisch und auch Deutsch sprachen. Sie bedauerte sehr, dass ihre Mutter nicht mit ihm sprechen wollte. Ach, es war wirklich schade, nicht mit ihm gemeinsam in einer Familie leben zu können. Und dabei hatte sie sich schon oft einen großen, starken Papa gewünscht, der sie beschützte und mit ihr spielte und lachte.
„Wo ist die Frau jetzt? Ich möchte sie besuchen und mit ihr reden.“
Das Mädchen senkte den Blick hinab auf ihre nackten Fußzehen und beobachtete einen regenbogenfarben schillernden Käfer, der über ihren großen Zeh kletterte. Sie durfte nicht lügen. Aber sie hatte ein Versprechen gegeben. Was sollte sie bloß machen?
Alain Germeaux bemerkte, wie die Kleine ihren Zeigefinger über den Mund legte und langsam den Kopf hob. Und dann schaute sie ihn mit großen Augen an.
M it grünen Augen!
Ihm stockte der Atem . Mit einem Ruck stand er auf, starrte das Kind an und taumelte einen Schritt zurück, als wäre ihm ein Geist erschienen. Er schüttelte heftig den Kopf. Grüne Augen! Nein, er glaubte keineswegs an Zufälle. Rotbraunes Haar und grüne Augen. Warum war ihm das nicht gleich aufgefallen? Es war nicht das leuchtende Smaragdgrün wie in Beates Augen, vielmehr eine sanfte Mischung aus …
„Wie … wie heißt du?“, flüsterte er heiser.
Die Kleine zögerte einen Moment mit einer Antwort. Ihren Namen zu nennen, hatte ihre Mutter nie verboten. Voller Stolz erwiderte sie: „Catherine.“
Großer Gott, sie war Beates Tochter! Alain erinnerte sich genau an den Namen einer von Beates Freundinnen. Catherine Tailor. Cat.
„Und wie …“ Alain versagte die Stimme. Die Kehle wurde ihm eng, bis er bloß noch stoßweise und angestrengt zu atmen vermochte. Seine Hand zitterte, als er seine Brille absetzte und sich den Schweiß aus dem Gesicht wischte. „Wie heißen deine Eltern?“
„Ich habe bloß meine maman .“
„Verrätst du mir den Namen deiner Mama?“
Scheu drehte sich das Mädchen nach den anderen um.
In der Zwischenzeit hatten sich die größeren Kinder im Staub niedergelassen und wieder in ihr Spiel vertieft, während die Mütter die Kleinen hinter sich her zerrten und in ihren Hütten verschwanden. Selbst die Greise entfernten sich langsam einer nach dem anderen. Die einseitige Unterhaltung mit dem
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