Begegnungen (Das Kleeblatt)
verschränkte die Arme vor der Brust und stützte die Ellbogen auf den Tisch. Dann beobachtete er voller Faszination seine Frau, die ihr Glas Limonade langsam an die Lippen führte und vorsichtig daran nippte. Er konnte förmlich spüren, wie sie jeden einzelnen Schluck genoss, der ihre trockene Kehle hinab tröpfelte.
Als sie seinen aufmerksamen Blick bemerkte, hielt sie inne und errötete.
Und Alains Herz wollte zerspringen. Er liebte sie so sehr! Mehr als zuvor bereute er jede Stunde, jeden einzelnen Moment, in dem er ihr nicht gesagt hatte, was sie ihm bedeutete.
„Was ist mit deinem Essen, Alain? Hast du vor, es noch aufzuessen, oder benutzt du es lediglich … mmmh, als Dekoration für deinen Teller? Magst du es nicht?“
Sie fragte sich, woran er sich verschluckt haben konnte, da er doch gar nichts gegessen hatte. Auf jeden Fall klang seine Antwort ein wenig erstickt, als er augenzwinkernd murmelte: „Ich bin gerade dabei , meinen Hunger zu stillen. Ich habe nicht einmal geahnt, wie ausgehungert ich in Wirklichkeit bin. Sieben Jahre sind eine verdammt lange Zeit.“
Mit einem überzeugenden, liebevollen Schmunzeln unterstrich er die Zweideutigkeit seiner Worte und griff nach der verbogenen Gabel aus Aluminium. Beate schaute betrübt zu, wie er das Fleisch auf seinem Teller unschlüssig hin und her schob, als müsste er eine Entscheidung darüber treffen, an welcher Stelle es am besten aussah.
„Es gibt hier selten etwas anderes als Ziegenfleisch“, entschuldigte sie sich für die Unzulänglichkeiten des angebotenen Essens.
„Äh. Ja.“
„ Guck mich bitte nicht so an, Alain.“
Al s er selbst dann keine Anstalten machte, seine Augen von ihr abzuwenden, blickte sie an sich hinab und hob fragend die Brauen. „Was ist? Habe ich etwas falsch gemacht? Wachsen mir vielleicht Eselsohren? Oder ein Elefantenrüssel? Habe ich mich bekleckert?“
„Nein, natürlich nicht.“ Er lachte fröhlich auf. „Wirklich, es ist nichts.“
Mit einem Mal legte sich ein dunkler Schatten über sein Gesicht. „Ich mag es , dich zu betrachten, Bea. Mehr ist es nicht. Ich hatte viel zu lange keine Gelegenheit dazu und deshalb will ich ab sofort jede Sekunde dafür nutzen. Du solltest dich also schon mal dran gewöhnen, dass ich dich nicht mehr aus den Augen lasse. Nie mehr.“
„Du hast dir schon immer einen Spaß daraus gemacht , mich herauszufordern und in Verlegenheit zu bringen.“
„ Mir kannst du wahrlich keinen Vorwurf deswegen machen“, verteidigte er sich mit Unschuldsmiene, während er lustlos in dem klumpigen Reis auf seinem Teller stocherte und sich eine kleine Portion davon in den Mund schob.
„W em sonst? Ich kann mich nicht erinnern, dich bloß ein einziges Mal darum gebeten zu haben, über mich zu lachen.“
„Es war deine vorhersehbare Reaktion, die mich geradezu herausgefordert hat , dich zu provozieren, quasi ein moralischer Imperativ, jede sich dafür bietende Gelegenheit zu nutzen. Meine Güte, wie habe ich es geliebt, wenn du krebsrot vor Wut angelaufen bist und nach Luft geschnappt hast wie ein Fisch auf dem Trockenen. Dabei hast du dir überlegt, was du mir im Gegenzug an den Kopf knallen könntest. Und du hattest in der Tat immer noch einen Spruch zum Draufsetzen.“ Er lachte hell auf bei der Erinnerung daran und verschluckte sich dieses Mal tatsächlich an dem klebrigen Reis.
„Du hast verteufelt gut ausgesehen, wenn du zornig warst“, keuchte er hustend, bis ihm die Tränen in die Augen traten . „Du hast es mir so leicht gemacht, mich gleich bei deinem ersten Wutanfall unsterblich in dich zu verlieben. Du glaubst mir nicht? Und doch ist es so. Mit dir ist es nie langweilig geworden. Au revoir, tristesse .“
Plötzlich wünschte er sich das alles wieder zurück, das gemeinsame Lachen, ihre Wortgefechte, seine verpassten Chancen, das verlorene Selbstvertrauen, die wundervolle Arroganz, die ihm vorgegaukelt hatte, nichts könnte ihn jemals verletzen.
Beate drehte sich unauffällig um. „Ich glaube, sie starren dich alle an“, flüsterte sie traurig, „meinetwegen. Wir sollten besser gehen. Sie halten mich sicher für …“
„Was kümmern mich die anderen“, unterbrach er sie mit einer herrischen Geste, „wenn ich mit meiner Frau zu Abend essen will?“
Ihr erschrockener Gesichtsausdruck ließ ihn verstummen. Er beugte sich über den Tisch und senkte die Stimme: „ Selbstverständlich habe ich nichts dagegen, die Umgebung zu wechseln, wenn du möchtest. Dieser
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