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Begegnungen (Das Kleeblatt)

Begegnungen (Das Kleeblatt)

Titel: Begegnungen (Das Kleeblatt) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansi Hartwig
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tabu.
    Bewusst schroff rief er ihr über die Schulter zu: „Mach schon. Lass uns gehen.“
    Du willst nicht in diesem Ton mit ihr reden, flüsterte eine innere Stimme. Du willst sie nicht anschreien, denn sei ehrlich, am liebsten würdest du sie doch ganz sanft in deine Arme ziehen und ihr ins Ohr raunen, wie sehr du sie vermisst hast. Wie sehr du sie liebst. Schon immer geliebt hast. Worauf wartest du?
    Halt die Klappe! Das ist meine Sache, wie ich damit umgehe!
    Ohne dass er es bemerkt hatte, war Beate plötzlich neben ihm und versuchte , sich seinen Riesenschritten anzupassen. Sie musterte ihn fragend.
    „ Was?“, knurrte er barsch. „Was ist?“
    „Könntest du das noch einmal wiederholen?“

30. Kapitel
     
    Langsam stieß er die angehaltene Luft aus. Um Himmels willen, keine zehn Pferde hätten ihn unter normalen Umständen in eine solche Spelunke gebracht! Er ahnte, dass es ungeachtet ihres nagenden Hungers eine Zumutung für Beate sein musste, ihren Fuß über die Schwelle dieser Kneipe zu setzen. Allerdings war es die einzige weit und breit. Und Bea sollte endlich etwas zu essen bekommen.
    Tatsache war, dass nicht bloß sie sich nicht mehr lange auf den Beinen halten würde.
    Mit skeptischer Miene warf er einen Blick in den dunklen Raum und verzog angewidert das Gesicht. Dann schüttelte er frustriert den Kopf. Es hatte weder Sinn, auf ein Wunder zu warten, noch darauf zu hoffen, der niedrige Raum mit der zum Schneiden dicken Luft würde sich in ein Pariser Straßencafé verwandeln. Womit hatte er denn in dieser unwirtlichen Umgebung gerechnet? Vermittelte die Kneipe bereits von außen einen äußerst schäbigen und heruntergekommenen Eindruck, übertraf der ins Freie strömende, Ekel erregende Gestank jedes Vorstellungsvermögen eines auch nur halbwegs zivilisierten Menschen. Es war eine Mischung aus Schweiß und Tabakrauch, ranzigem Bratenfett und schalem Bier, die Alains Magen zu heftigem Protest veranlasste.
    Was ihn dann im Schankraum erwartete, stellte seine schlimmsten Befürchtungen noch weit in den Schatten. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Beates Reaktion auf dieses Loch, in dem sich vermutlich sämtliche Ratten des Dorfes ein munteres Stelldichein gaben. Die Wände waren mit ausgeblichenen Pin-up-Girls tapeziert, die über und über mit obszönen Sprüchen, zerklatschten Fliegen und Flecken von eingetrockneten Saucen beschmiert waren. Auf dem Boden mischten sich der Dreck von den Schuhsohlen und diverse Essensreste zu einer klebrigen Masse, sodass jeder Schritt darüber ein widerlich schmatzendes Geräusch verursachte. An den grob behauenen Holztischen lungerten ausschließlich Männer, Einheimische, aber ebenso Chinesen, Inder und Europäer waren darunter zu finden, durch die Bank weg abgerissene, wilde Typen, Abenteurer vermutlich, die einst ihr Glück in der Fremde gesucht hatten und hier als gescheiterte Existenzen endeten. Träge wandten sie ihre Augen von den Plastiktellern und Blechschüsseln, um die Neuankömmlinge mit unverhohlenem Interesse zu mustern. Ihre gierigen Blicke schienen Beate selbst den letzten Fetzen Stoff vom Körper reißen zu wollen.
    „ Nicht gerade das ‚Ritz’“, spöttelte Alain ohne eine Spur echter Belustigung. „Ich kann bloß hoffen, dass meine Begleitung diesen unbedeutenden Makel für dich erträglicher macht.“
    Um Beates Mund zuckte es. Die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst schaute sie zu Alain auf. Sie hielt es für ausgeschlossen, dass er von dem Abend im Berliner „Ritz“ wusste, wo sie auf Pierres Einladung hin übernachtet hatte. Damals war sie noch als Studentin an der Seefahrtsschule eingeschrieben, doch der Ehrlichkeit halber gestand sie sich ein, bereits zu diesem Zeitpunkt das Kapitel Studium und Seefahrt für sich abgeschlossen zu haben. Zu viel Energie hatte sie in die Pflege ihrer Männerbeziehungen und diverser Vergnügungen gesteckt und darüber schlicht und einfach ihr Studium vergessen.
    In dieser Zeit des Abschieds von ihren Freunden und der Ostseeküste erhielt sie eines Tages ein Telegramm, welches zu ihrer großen Verwunderung mit „Papa“ unterschrieben war. Sie hatte ihren Vater nie so genannt, trotzdem wollte sie um des lieben Friedens willen seiner Einladung nach Berlin folgen. Dass sie beim Anblick des eleganten Mannes mit dem rabenschwarzen Haar, dem exquisiten Designeranzug und den funkelnden Brillanten, dem charmanten Lächeln und den formvollendeten Manieren vor Begeisterung fast aus den Latschen

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