Begegnungen (Das Kleeblatt)
Du kannst doch nicht so … so … jetzt nicht einfach gehen“, rief Clausing überrascht und merkte dabei nicht, wie er zum vertraulichen Du überging.
„Das ist eine Angelegenheit, die ab sofort nicht nur dich etwas angeht“, erkl ärte er mit Nachdruck und seine Augen blitzten bedrohlich. „Suse macht sich genauso Sorgen um Beate. Und überhaupt, wo willst du um diese Zeit noch hin? Es ist dunkel, es ist spät und stürmisch kalt da draußen. Du kennst dich in dieser Stadt nicht aus. Nehme ich zumindest an. Und bestimmt hast du auch kein Hotelzimmer gebucht. Außerdem wird Ossi gleich zu Hause sein. Du kennst ihn doch. Oder nicht? Auf jeden Fall würde er mir nie verzeihen, dich nicht zurückgehalten zu haben. Ich will mir nicht mangelnde Gastfreundschaft nachsagen lassen und damit seinen Zorn auf mich ziehen. Sag ihm wenigstens ‚Guten Tag’. Vielleicht fällt ihm etwas ein, woran wir nicht gedacht haben. Er kennt Suse besser. Immerhin ist er ihr Mann.“
Er erwischte den Franzosen am Ärmel und zerrte ihn hinter sich her zur Küche. Mit der freien Hand zog er das Besteckfach auf und kramte ein Messer hervor, welches er Alain resolut in die Hand drückte. „Da nimm und dann hilf mir, das Abendessen vorzubereiten. Ohne Gegenleistung für meinen Kaffee kommst du mir nicht davon.“
Während der Schiffskapitän das Gemüse putzte und munter drauflos redete, schälte Alain lustlos Kartoffeln.
„Heute wirst du Beate ohnehin nicht mehr finden. Ich kann nachfühlen, wie schwer es zu verstehen ist, wenn plötzlich so etwas passiert. Man kann sich nicht vorstellen , irgendetwas falsch gemacht zu haben. Man ist sich keiner Schuld bewusst, dennoch muss es einen Grund geben. Du glaubst, du hättest versagt, nicht wahr? Du marterst Tag und Nacht dein Hirn, weil du unbedingt herausfinden musst, welchen Fehler du begangen hast. Denn nur so kannst du etwas ändern. Was also könnte es sein, das in den Augen des anderen so unverzeihlich ist, dass er dich deswegen verlässt?“
Clausing hielt inne und stutzte, als ihm bewusst wurde, was er da er zählte. Es war Ewigkeiten her, sodass er es längst vergessen geglaubt hatte, trotzdem tat es noch immer verdammt weh.
„Haben wir nicht deutlich genug gezeigt, was wir für den anderen empfinden?“, setzte er seinen Monolog eine Spur leiser fort. „Hat ihm unsere Liebe nicht genügt, weil er uns für jemanden verließ, der ihm jetzt das fehlende Etwas gibt, was immer das sein mag? Ich weiß es nicht. Es ist nicht zu verstehen. Ein Scheißgefühl. Merde .“
„Du … du hast Recht. Es ist genauso “, krächzte der Franzose heiser. „Und es tut so weh, als wäre es die allererste Enttäuschung in meinem Leben. Ich darf Beate nicht verlieren. Ich muss sie finden und aus ihrem Mund hören, dass sie mich nicht will. Sie soll mir sagen, womit ich sie verärgert habe oder …“ Er beendete den Satz nicht.
Matthias Clausing hörte das angestrengte Keuchen und drehte sich zu Alain um. Die unnatürlich glühenden Augen des Mannes verschwammen in einem Meer aus Trauer und Enttäuschung. Matthias bemerkte, dass der Franzose bedrohlich wankte, und schob ihn zu seinem Hocker am Küchentisch zurück, wo er ihm mit sanftem Druck bedeutete, sich zu setzen. Wortlos füllte er ein Glas mit Wasser und stellte es vor Alain. Dessen Hände gehorchten kaum, als er aus der Hosentasche eine kleine Schachtel zog und ihr mehrere Tabletten entnahm.
Der Kapitän zuckte zusammen und sog die Luft scharf ein. Zu sehr erinnerte ihn dieses Bild an seinen kranken Freund, der sich über Monate hinweg mit Tabletten und Alkohol betäubt hatte. Er mühte sich, so zu tun, als hätte er Alains unkontrolliertes Zittern nicht bemerkt, und drehte sich wieder zu seiner Salatschüssel um. Für einen Moment schloss er die Augen und zwang sich, tief durchzuatmen und Ruhe zu bewahren.
„Was hattest du eigentlich vermutet, was Bea in Tornesch von dieser Gritta will? Suse war total schockiert, dass Beate ausgerechnet mit ihr in Verbindung gebracht wird. Sie hält es im Prinzip für ausgeschlossen, dass die beiden miteinander reden würden. Sie waren sich nämlich spinnefeind, weil Bea während des Studiums Gritta den Freund ausgespannt hat, den hübschesten und größten, blondesten und begehrtesten Mann der Schule.“
„Answer“, ergänzte Alain mit belegter Stimme.
Matthias fuhr verblüfft herum. „Ach? Du kennst ihn?“
Alain widmete seine Aufmerksamkeit den Kartoffeln und ließ sich von Clausings Frage
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