Begegnungen (Das Kleeblatt)
nächsten Moment hätte sie am liebst en vor Erleichterung aufgeschrien, als sie Adrians Schuhe wie gewohnt ordentlich aufgereiht im Regal stehen sah. Ihr Blick um die Ecke zum Garderobenständer verriet, dass ebenfalls einer seiner Mäntel dort hing, wo er hingehörte.
Sie taumelte gegen den Türrahmen, als mit einem Mal die erdrückende Furcht wie ein riesiger Stein von ihr abfiel. Langsam stieß sie die Luft aus und wagte endlich , die Wohnung zu betreten.
Adrian hatte sie nicht verlassen!
Allerdings war er auch nicht zu Hause.
Gewohnheitsmäßig bückte sie sich nach der zahlreichen Post, die auf dem Fußboden hinter der Wohnungstür lag. Die ersten Weihna chtskarten befanden sich darunter. Sie legte den Stapel auf den Garderobentisch und nahm sich vor, die Post später in Ruhe durchzusehen.
Denn erst einmal forderte ihr Baby sein Recht und ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Sein Tagesablauf war heute völlig aus den Fugen geraten, trotzdem hoffte sie, der Lütte würde ihr diese Unordnung nicht allzu übelnehmen. Sie schmunzelte bei der Vorstellung, er würde darauf möglicherweise genauso gelassen reagieren wie sein Vater. Der hatte ihre angeborene Schludrigkeit stets kommentarlos und mit einem gutmütigen Lächeln hingenommen. Adrian. Wie sehr sie ihn in gerade diesem Augenblick vermisste!
Eine Stunde später lag ihr Sohn friedlich schlummernd in seinem Bettchen, das in de r kleinen Kammer neben ihrem Schlafzimmer stand. Mit der ihm eigenen Sorgfalt hatte Adrian die Ankunft seines Sohnes vorbereitet und sich nicht nur um einen Wickeltisch und eine Kommode für die Babywäsche gekümmert, sondern genauso an eine Badewanne für den Kleinen gedacht, an passende Windeln, eine Waage und alle möglichen Toilettenartikel. Die Regale, die Adrian an die vorher kahlen Wände geschraubt hatte, waren bereits mit dem ersten Spielzeug gefüllt.
An jedem Detail erkannte sie seine stets für praktische Ordnung sorgende Hand. Wirklich verblüfft hatte sie dagegen ein verspielter Traumfänger, der sanft über dem Kinderbettchen von der Decke schaukelte und so gar nicht vermuten ließ, dass Adrian dahinter steckte.
Adrian, ihr staubtrockener Realist. Sollte er in der Zeit ihrer Abwesenheit tatsächlich einen Sinn für Romantik entwickelt haben?
Eine weitere Stunde später hatte die junge Mutter ihre Taschen ausgepackt und die Wäsche in den Schränken verstaut, sodass nichts Adrians Sinn für Harmonie stören konnte. Sie hatte sich geschworen, einen Neuanfang zu wagen und dazu gehörte, in Zukunft auch an ihren eigenen Fehlern zu arbeiten.
Zufrieden sank sie in einen der tiefen Ledersessel im Wohnzimmer. Vor sich auf den Couchtisch hatte sie ein Tablett abgestellt, auf dem eine Mischung aus spätem Mittagessen und zeitigem Abendbrot wartete. Darüber thronte die alles beherrschende Tasse mit pechschwarzem Kaffee, den sie sich hin und wieder nach dem Stillen ihres Babys gönnte. Da Adrian in wunderbarer Weise für einen gefüllten Kühlschrank gesorgt und Unmengen an Delikatessen herbeigeschafft hatte, die sie kaum mit Namen zu nennen vermochte, war ihr Überleben vorerst gesichert. Sein Geschmack hatte sich während ihrer Abwesenheit, zumindest was das Essen betraf, erstaunlich verändert. Ob er plante, für sie beide heute Abend zu kochen?
Sus anne seufzte und schlürfte ihren dampfenden Kaffee. Es würde sie bereits überglücklich machen, wenn er etwas früher von der Arbeit nach Hause käme, um seine Familie nicht schon schlafend anzutreffen. Nach der langen Reise befürchtete sie, an diesem Abend nicht sehr alt zu werden, zumal ihr das breite Bett im Schlafzimmer einladend zugezwinkert hatte, als sie daran vorbeigestolpert war, um das Baby schlafen zu legen.
Sie schielte zum Telefon, verwarf diesen flüchtigen Gedanken indes schneller noch, als er ihr gekommen war. Mit Sicherheit hatte sich nichts an Adrians Abneigung gegen private Anrufe am Arbeitsplatz geändert. Er wusste, dass sie heute eintreffen würde. Was hätte sie ihm am Telefon demnach Neues sagen können?
S ie musste ihrer Ungeduld endlich Zügel anlegen. Sie hatte ein halbes Jahr lang auf diesen Tag hin gefiebert. Wäre doch gelacht, wenn sie nun die letzten Minuten, vielleicht auch Stunden bis zu ihrem Wiedersehen nicht ebenfalls überleben würde. Denn gerade heute wollte sie alles vermeiden, mit dem sie sich Adrians Unmut zuziehen könnte.
Nichtsdestotrotz erschien es ihr geradezu unmöglich, noch länger auf ihn zu warten, ohne den Verstand zu
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