Begehrter Feind
gingen.
Hinter ihnen schwang die verwitterte Holztür zu.
Gisela atmete erleichtert auf.
Mit einem leisen Lachen drehte Dominic sich zu ihr um. »Fürwahr ein tiefer Seufzer, Gisela!«
»Wir scheinen nicht verfolgt zu werden.«
»Soweit wir wissen.«
Sie schluckte. »Du meinst …«
»Jedenfalls sollten wir nicht trödeln«, warnte er und beschleunigte seine Schritte. »Vorn an der Straße könnte uns noch jemand auflauern.«
»Dir, meinst du«, korrigierte sie. »Du musst ein gefährlicher Mann sein, Dominic.«
Seine Anspannung war nicht zu übersehen, als er rascher wurde. Vom Marktplatz wehte ihnen der Feuergeruch des Schmiedestands entgegen. »Das hätte ich nicht gedacht«, murmelte er.
»Aber du hattest einen Grund, dich als Bettler zu verkleiden. Hast du Feinde in Clovebury?«
Plötzlich erstarrte er, und gleich darauf drückte er sie mit dem Rücken gegen die Mauer eines Hauses. Sie vermutete schon, dass er etwas Verdächtiges gehört hatte, aber er flüsterte nur: »Darüber reden wir später.« Dann nahm er das Messer aus seinem Ärmel, bevor er vorsichtig um die Ecke sah.
Eine verschlossene Wachsamkeit überschattete seine Züge, während sein Mund ungewöhnlich hart und streng wirkte. Er schien wie eine wildere, härtere Version des Mannes, den Gisela geliebt hatte, und sie fragte sich unwillkürlich, wie gut sie ihn eigentlich kannte – und ob er ihr verraten würde, was sie wissen musste.
Vor Jahren hatten sie sich einmal alles gesagt, obwohl er der Sohn eines reichen Lords und sie bloß eine gewöhnliche Krämerstochter war. Und sie versprachen sich alles Erdenkliche.
Heute jedoch …
Gisela drückte die Finger an den rauhen Stein hinter ihr, während sie sich bemühte, nicht um verlorene Träume zu trauern. Ihrer beider Leben hatte sich viel zu sehr verändert, als dass sie darauf hoffen dürfte, er könnte jemals wieder Teil von ihrem sein. Nein, dieses Wiedersehen war nichts weiter als ein kurzer Sonnenstrahl inmitten der Finsternis.
Was sie einst verband, zählte nichts mehr.
Zweifellos bewarben sich Hunderte schöner, wohlhabender junger Damen um seine Gunst. Als Dominics Vater und seine Stiefmutter ihn vor Jahren zu einer arrangierten Ehe drängen wollten, hatte er geschworen, nie zu heiraten. Wie war er aufgebracht gewesen, als er auf der Wiese hin und her gestampft und jene Verbindung verflucht hatte, die nichts mit Liebe zu tun hatte und nur dem Wohl seines Vaters dienen sollte. Um der Verlobung mit einer kaum Dreizehnjährigen zu entgehen, schloss er sich damals dem Kreuzzug an und verließ England.
Nun war er wieder zurück, älter und welterfahrener. Sicher hatte er seine Einstellung zur Ehe geändert und stand kurz davor, eine Dame zu heiraten, die seinem Rang entsprach und ihm Kinder schenkte.
Der Gedanke schnürte ihr beinahe die Kehle zu. Sie schluckte und blickte zu ihm. Obwohl unübersehbar war, dass seine Verletzungen ihm übel zusetzten, lachte er und schüttelte den Kopf, als eine zerzauste Katze mit einer Maus im Maul an ihm vorbeiflitzte.
»Komm mit!« Wieder nahm er Giselas Hand und führte sie geradewegs auf den belebten Marktplatz zu. Dort stimmten Musiker eine fröhliche Melodie an, und die Zuschauer klatschten mit.
»Dominic, wir laufen in die falsche Richtung!«
»Vertrau mir«, sagte er, »im Moment ist es sicherer, wenn wir uns unter die Menge mischen. Falls uns jemand folgt, können wir ihn hier leichter abschütteln. Und dann zeigst du mir den Weg.«
Wie sie es hasste, wenn man in diesem Ton mit ihr sprach! Ryle hatte stets mit ihr geredet, als besäße sie den Verstand eines Herdrostes, was über die Jahre einen ehernen Trotz in ihr hatte gedeihen lassen. Bloß weil er ihr Ehemann war, hatte er geglaubt, er dürfte ihr in allem und jedem Befehle erteilen.
Aber nein, schalt sie sich im Geiste, Dominic war nicht Ryle! Sie durfte die beiden nicht vergleichen, denn ihre große Liebe könnte niemals wie Ryle sein.
Er blickte sich zu ihr um und runzelte die Stirn. »Was ist? Hast du jemanden gesehen, der uns folgt?«
»Nein, nein, ich bin nur … mir ist das nicht geheuer.«
Bevor er sich wieder wegdrehte, entdeckte sie einen Anflug von Mitgefühl in seinem Blick. »Es ist klug, nicht zu selbstgewiss zu sein«, sagte er so leise, dass sie es kaum hörte. »Wer auf der Hut bleibt, ist sicherer.«
Sicher
. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlte, sicher zu sein. Ganz gleich, wie beruhigend sie Dominics Nähe fand, wusste sie doch, dass immer
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