Begehrter Feind
Womöglich würden die Diebe dann mitsamt der Seide fliehen, und es wäre noch schwieriger, sie zu finden. Und wir müssen die fehlenden Ballen unbedingt wiederbekommen.« Er grinste. »Ich hatte eigentlich vor, mich auf dem Markt herumzutreiben und mir den Klatsch und Tratsch anzuhören. Tja, und dann sah ich dich.«
Sie wurde rot. »Ich habe deine Pläne vereitelt.«
»Nein, nur aufgeschoben.« Wieder drückte er sanft ihre Arme, ließ sie los und sah hinunter auf seine Verbände. »Bist du gleich fertig?«
»Ja.« Mit geschickten Händen wickelte sie das Leinen um seine Rippen, nicht zu locker und auch nicht zu fest, so dass es ihn beim Atmen nicht behinderte. Sie schien sehr gut zu wissen, was sie tat, was ihm zunächst seltsam anmutete, aber dann fiel ihm ein, dass sie ja einen lebhaften kleinen Sohn hatte, durch den sie wohl lernte, wie kleine Verletzungen zu behandeln waren.
»Falls du etwas über die Seiden hörst, dir ein Kunde welche bringt und daraus etwas genäht haben will, sagst du es mir, ja?«
»In Clovebury sind die wenigsten Menschen so wohlhabend, dass sie sich Seide kaufen können, Dominic«, erwiderte sie leise.
»Geoffreys Lieferung muss sich in diesem Dorf befinden. Sie kam über den Fluss aus der Stadt, aber nie auf Branton Keep an. Und zwischen beiden ist Clovebury der einzige Ort.«
Nachdem sie die letzte Bandage zusammengebunden hatte, stülpte sie die Enden unter den Verband. »Wie fühlt sich das an?«
»Viel besser. Danke!«
»Wenn du dich wieder hinsetzt, sehe ich mir dein Kinn an.«
Beinahe hätte er entgegnet, dass er sich um diese Verletzung selbst kümmern könnte – der einfältigste Narr konnte sich Salbe auftragen –, aber er sank gehorsam auf die Bank. Mit dem kleinen Topf in der Hand beugte sie sich zu ihm und begann, ihm Salbe aufs Kinn zu tupfen.
Der scharfe Kräutergeruch stieg ihm in die Nase. Trotzdem konnte er noch Giselas Duft wahrnehmen, und dieser erinnerte ihn nun daran, dass sie der Grund war, weshalb er überhaupt von der gestohlenen Seide gesprochen hatte.
»Was ich dir über Geoffreys Stoff erzählt habe, muss unter uns bleiben«, ermahnte er sie. »Du darfst mit niemandem darüber reden.«
Eine Hand unter seinem Kinn, hob sie den Kopf und betrachtete die Wunde. Dann sah sie ihm in die Augen. »Das werde ich nicht.«
»Schwörst du es, Gisela, Heilerin von Sir Dominic, dem mächtigen Drachentöter?«
Lachend verdrehte sie die Augen. »Ich schwöre.«
»Gut«, sagte er lächelnd. »Und nun, Gisela, bist du an der Reihe, mich in deine Geheimnisse einzuweihen. Erzähl mir, vor was – oder
wem
– du dich fürchtest.«
Kapitel 5
G isela fühlte ein grässliches Brennen im Hals, so sehr widerstrebte es ihr, Dominic alles zu sagen. Die Salbe an ihren Fingern schien auf einmal kalt, als wäre ein Windzug durchs Haus gegangen, der sie frösteln machte. Sie wandte den Blick ab, trat beiseite und verschloss den Salbentopf, bevor sie ihn auf den Tisch zurückstellte.
»Du
musst
es mir sagen!«, beharrte Dominic.
Er klang so seltsam, dass Gisela unweigerlich wieder zu ihm sah. Seine Züge wirkten kantiger, und alles jungenhaft Verschmitzte war fort. Stattdessen strahlte er eine beinahe unheimliche Anspannung aus. So musste er aussehen, bevor er sich ins Schlachtengetümmel stürzte.
Unsicher blickte sie wieder auf den Tisch, nahm sich ein sauberes Leinentuch und wischte daran ihre Hände ab. Sie hatte Mühe, sich ihm zu entziehen, wenn er sie so streng anschaute. Ach was! Seine Wirkung auf sie zu leugnen war, als wollte sie leugnen, dass die Sonne warm war: unmöglich.
Wieder begegneten sich ihre Blicke. In seinen braunen Augen schimmerte eine solche Entschlossenheit. Er brauchte ihr Vertrauen, schien sich buchstäblich danach zu verzehren.
Ähnlich stark war ihr Wunsch, sich ihm anzuvertrauen, wurzelnd in der Liebe, die sie einst verbunden hatte und die bis heute in ihr lebte. Gisela versuchte ja, den Drang zu unterdrücken, ebenso wie die anderen Gefühle, die sich in ihr regten: Verlangen, Sehnsucht, Bedauern. Sie benetzte sich die Lippen und legte das Leinentuch ab, während sie versuchte, sich auf jene Courage zu besinnen, die Ewan und sie am Leben erhielt. »Dominic, bitte, ich kann nicht …«
»Wer hat dir so weh getan?«, fragte er leise. »Wer Gisela? Dein Geliebter?«
Tränen brannten in ihren Augen. »Ich habe keinen Geliebten.«
Ich habe nie einen Mann außer dir geliebt, Dominic!
Er musterte sie skeptisch. »Dein
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