Begehrter Feind
Fingerspitzen.
»Fürwahr, das ist es«, sagte er und musste sich räuspern, weil seine Stimme seltsam belegt war. »Sonst hätte ich mich wohl kaum verkleidet.«
Sie hielt inne. »Dominic, warst du in irgendeine Untat verwickelt?«
Nein, aber das könnte noch kommen, wenn du mich weiter mit deinen Händen quälst!
Er verdrängte seine unangebrachten Gedanken und lächelte sie an. »Ich bin kein gesuchter Gauner, falls du das meinst, sondern kam nach Clovebury, weil mich mein guter Freund und Herr, Geoffrey de Lanceau, darum bat.«
»
Der
Lord de Lanceau? Der mit seiner Lady und seinem Sohn auf Branton Keep lebt?«
»Ebender.« Dominic konnte sich ein stolzes Grinsen nicht verkneifen. »Wie du wahrscheinlich weißt, ist Geoffrey der Lord über den größten Teil von Moydenshire.«
Sie sah ihn ehrfürchtig an. Nein, da war nicht nur Ehrfurcht in ihrem Blick. Er glaubte außerdem einen Anflug von … Furcht zu erkennen.
»Also bist du sein Spion«, stellte sie fest.
Dominic bejahte.
Zitternd holte sie Atem, und er bemerkte, dass ihre Hände zu schwitzen begannen. Aha. Er hatte sie gewiss mächtig beeindruckt. Und nachdem sie nun wusste, dass er ein sehr wichtiger Mann war, sah sie ihn mit anderen Augen. Sicher hatte sie etwas Angst, ihn womöglich nicht gut genug zu verarzten.
Diese Furcht sollte er ihr nehmen. »Ich bin immer noch derselbe Dominic wie damals«, erklärte er. »Daran hat sich durch meine Freundschaft mit de Lanceau nichts geändert.«
Sie wirkte nicht überzeugt, als sie den zweiten Verband schloss und den nächsten Leinenstreifen aufnahm. »Darf ich dich fragen, was dich nach Clovebury führt? Bist du hier, um wegen der jüngsten Diebstähle nachzuforschen?«
Dominic runzelte die Stirn. »Ich weiß nichts von Diebstählen.«
Kopfschüttelnd legte Gisela ihm den nächsten Verband an. »Viele der Kaufleute hier fürchten, dass auch in ihre Geschäfte eingebrochen und ihre Waren zerstört werden könnten. Gewöhnlich ereignen sich die Einbrüche nachts. Niemand weiß, ob die Schurken aus dem Dorf stammen oder ob es Vagabunden sind. Der Töpfer war einer der letzten Kaufmänner, bei denen eingebrochen wurde.« Sie schaute zu ihm auf. »Er ist gut mit dem Bäcker befreundet.«
»Nun, dann dürfte er allen Grund haben, Fremden zu misstrauen«, folgerte Dominic.
Für einen Moment starrte sie ihn verwundert an, dann senkte sie den Blick. Als ihre Finger erneut seinen Oberkörper berührten, erbebte er. Eilig fuhr er fort: »Mein Auftrag von de Lanceau könnte etwas mit den Einbrüchen zu tun haben, aber das weiß ich noch nicht. Ich bin hier, um herauszufinden, wer eine Schiffsladung Stoff gestohlen hat, die Geoffrey erhalten sollte.«
»Was für Stoff?«
»Seide. Mehrere Ballen des feinsten, edelsten Tuchs …«
Er verstummte angesichts ihres seltsamen Gesichtsausdrucks, einer Mischung aus Misstrauen und Verzweiflung.
Ihr Mund öffnete und schloss sich sofort wieder. Dann blinzelte sie und wandte sich wieder den Verbänden zu. Trotzdem wollte er schwören, dass sie in Gedanken weit, weit weg war.
»Gisela?«
»Mmm?«
Er umfasste ihre Oberarme, worauf sie sich merklich versteifte. Ihre Hände, die eben im Begriff waren, einen weiteren Streifen um seinen Brustkorb zu wickeln, verharrten mitten in der Bewegung, so dass sie warm auf seinem Oberkörper ruhten.
Doch er durfte sich nicht ablenken lassen.
»Weißt du etwas von der gestohlenen Seide?«
Sie lachte nervös auf. »Ich? Woher sollte ich?«
»Du bist Schneiderin. Du verdienst dir deinen Lebensunterhalt damit, Kleider zu nähen.«
Unsicher sah sie auf ihre Hände an seiner Brust und nagte wieder an ihrer Unterlippe. »Dominic …«
»Ich frage nur, Gisela, weil dich ein Kunde gebeten haben könnte, Kleider aus Seide zu nähen«, sanft drückte er ihre Arme, »nicht weil ich dich verdächtige, etwas mit Geoffreys gestohlener Schiffsladung zu tun zu haben.«
Zitternd atmete sie aus und nickte. »Wenn ich … schockiert wirke«, erklärte sie vorsichtig, »dann deshalb, weil ich den Gedanken furchtbar finde, dass in diesem Dorf, das ich meine Heimat nenne, Menschen leben, die Lord de Lanceau bestehlen.« Sie schluckte. »Ich kann das nicht glauben.«
»Und dennoch ist es wahr.«
Er spürte, wie sie zitterte. Offenbar ängstigte sie diese Sache sehr. »Warst du deshalb als Bettler verkleidet? Um die Diebe zu finden?«
»Ja, Geoffrey hielt diese Vorgehensweise für besser, als einen Trupp Waffenknechte zu schicken.
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