Begehrter Feind
auf den kleinen Tisch und drehte sich zu Ewan um. »Das weiß ich nicht, Knöpfchen.« Es versetzte ihr einen unangenehmen Stich, dass sie ihr eigenes Kind belog. Andererseits rechtfertigte ihre Sorge um seine Sicherheit allemal diese kleine Notlüge.
Ewan runzelte die Stirn. »Aber ich hab’s hier gehabt!« Er sah sich auf dem Fußboden um.
»Ich habe es nicht gesehen.« Um ihn abzulenken, ehe er unter den Schrank sehen konnte, zeigte Gisela auf das Brot. »Wir suchen es, wenn du gegessen hast.«
Ewan kam näher und murmelte sichtlich enttäuscht: »Sir Dominic glaubt mir nicht, dass ich ein Kämpfer bin, Mama.«
Tröstend legte sie einen Arm um ihn und bemühte sich, nicht zu lächeln, denn schließlich ging es hier um verletzten Stolz. »Doch, das tut er ganz bestimmt.«
Dominic räusperte sich. Offenbar hatte auch er Mühe, nicht zu lachen. »Vielleicht kann mir Ewan ein andermal zeigen, wie gut er im Schwertkampf ist. Ich muss mich jetzt auf den Weg machen.«
Ewan drehte sich in Giselas Arm um, so dass seine Schulter gegen ihren Bauch drückte und sie seinen Oberkörper umfasste. »Dominic, geht es dir denn gut genug?«
»Nach deiner hervorragenden Behandlung sollte es das.«
Gisela wurde rot. »Ich habe doch kaum etwas gemacht.«
Außer dass du sein Misstrauen erregt und versehentlich erwähnt hast, dass du Ryle weggelaufen bist.
Dennoch konnte sie an seiner Miene nichts ablesen, was darauf hindeutete, dass er irgendwelche Schlüsse aus ihrem vorherigen Gespräch zog. »Ich fühle mich schon viel besser, nachdem du mich so gut verbunden hast. Darf ich fragen, wo du dir diese Fertigkeit erworben hast?«
Bei Ada, aber das würde sie nicht verraten.
Gisela spürte, wie besorgt ihre Freundin sie ansah, während sie mit den Schultern zuckte und antwortete: »Ich musste Ewan ein paar Mal verarzten.«
Prompt blickte der Kleine verwundert zu ihr auf. »Hatte ich denn mal so einen Verband?«
Wieder einmal hatte Gisela gelogen, und sie erschrak selbst, weil es ihr zusehends leichter fiel. Doch um keinen Preis würde sie zugeben, dass sie gezwungen gewesen war, jene Wunde zu versorgen, die Ryle ihr beigebracht hatte. Wäre Ada an dem regnerischen Nachmittag nicht zufällig vorbeigekommen, als Gisela mit dem weinenden Ewan an ihrer Seite auf der Wiese am Dorfrand zusammengebrochen war … Hätte die freundliche Hebamme sie nicht mit zu sich nach Hause genommen, Gisela Salbe und frische Verbände gegeben und ihr gezeigt, wie sie die Wunde behandeln musste … Gisela fröstelte. Sie mochte gar nicht daran denken, was hätte passieren können.
Stattdessen holte sie tief Luft und sagte ruhig: »Das ist schon lange her, Knöpfchen. Da warst du noch ganz klein.« Sie tätschelte ihm die Schulter und sah zu Dominic. »Möchtest du ein Honigbrot, ehe du gehst?«
»Danke, nein. Ich bin bereits länger hier, als ich sollte.«
Ada stieß einen zustimmenden Laut aus.
»Ich habe noch einiges zu tun.«
Gisela nickte, denn ihr entging nicht, was er damit andeuten wollte. Er wollte seine Suche nach de Lanceaus gestohlener Schiffsladung wieder aufnehmen.
»Falls du mich brauchst,
Anne:
Ich wollte mir ein Zimmer in der Stubborn Mule Tavern mieten.« Mit einem höflichen Lächeln verbeugte er sich vor Ada, wobei seine Bewegungen durch die Wunden etwas steif wirkten. »Wünsche einen guten Tag.«
»Guten Tag, Mylord«, entgegnete sie mit einem verhaltenen Knicks und fügte lauter hinzu: »Ich mache mich ohnehin auf den Heimweg, da kann ich Euch nach draußen begleiten.«
Zwar hatte Gisela erwartet, dass sich Dominics Züge ärgerlich verfinstern würden, aber er grinste nur. Offensichtlich fand er das unterkühlte Gebaren ihrer Freundin eher amüsant. »Wie freundlich von dir, Ada!«
Die Frau sah ihn mit großen Augen an und blinzelte wie eine Eule.
Immer noch grinsend, wandte Dominic sich an Gisela. Kaum begegneten sich ihre Blicke, legte sie unwillkürlich den Arm fester um Ewan. »Dir auch einen guten Tag, junger Krieger«, sagte Dominic, bevor er Gisela erneut in die Augen sah. »Einen guten Tag, süßes Gänseblümchen.«
»Süßes Gänseblümchen?!«, wiederholte Ada entrüstet. »Bei Gott, Ihr seid ein impertinenter Bursche!«
Dominic lachte und schritt an ihr vorbei durch die offene Tür in die dunkle Schneiderei. »Wolltest du mich nicht begleiten, Ada? Enttäusche mich bitte nicht, sonst wäre ich am Boden zerstört!«
Leise vor sich hin schimpfend, stapfte Ada ihm nach und knallte die Tür hinter sich
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