Begehrter Feind
nicht.
»Kein Kind verdient, so behandelt zu werden.«
»Ein Kind sollte lernen, was richtig und was falsch ist«, konterte Ryle mit einem ekligen Grinsen, »genau wie ein Eheweib.«
O Gott! O Gott!
Gisela ballte die Fäuste und überlegte fieberhaft. »Was willst du, Ryle? Warum bist du hergekommen?« Sehr gut. Sie musste dafür sorgen, dass er redete, dass er beschäftigt war.
Sein Grinsen blieb. »Ich will zurückholen, was mir gehört.« Dabei wanderte sein Blick über ihr abgetragenes Kleid.
»Ich habe dir nie
gehört
.« Und das meinte sie aus tiefstem Herzen.
»Du gehörst mir noch, Gisela«, erwiderte Ryle und beugte sich vor wie ein Drache, der sie jeden Moment mit seinem Feuer verschlingen würde. Sein Atem stank nach Alkohol. »Du hast die Leute in diesem Dorf zum Narren gehalten, indem du dich hinter dem Namen Anne verschanzt hast, aber du bist immer noch die Frau, die ich geheiratet habe. Der Priester erklärte uns zu Mann und Weib, weißt du noch? Du gehörst mir!«
Gehören.
Wie ein Kleidungsstück, ein Paar Schuhe oder irgendein anderer Besitz.
»Du kommst mit nach Hause, Gisela!« Er streckte die Hand nach ihr aus, die breiten Finger gespreizt, um ihren Arm zu packen.
Gisela wich zurück, stieß rücklings an die Bank und wäre beinahe umgekippt. »Ich kehre niemals mit dir zurück. Niemals!«
»O doch, das wirst du!« Wieder griff Ryle nach ihr.
»Hör auf!«, kreischte Ewan und sprang auf. Tränen strömten ihm übers Gesicht. »Schrei Mama nicht an!«
Ryle bedeutete ihm mit einer Handbewegung, still zu sein. Seine Stiefel knarzten, als er ein weiteres Mal nach Gisela greifen wollte. Diesmal bekam er ihr Handgelenk zu fassen, das er schmerzlich fest umschlang.
Sie stieß einen stummen Schrei aus, denn seine groben Finger drückten ihr Gelenk eisern zusammen. Schmerz und Furcht durchfuhren sie mit neuer Wucht. Das war die Strafe für ihren Trotz. Zugleich sah sie ihn vor sich, wie er mit dem Arm ausholte und sie schlug.
Falls er sie ohnmächtig schlug, wie er es schon früher getan hatte, könnte sie Ewan nicht mehr schützen.
Sie strengte sich an, sich seinem Griff zu entwinden, während sie nebenbei mitbekam, wie ihr Sohn vom Tisch weglief. Unterdessen schnaubte Ryle verärgert und packte sie umso fester.
»Ryle!«, keuchte sie. »Hör auf!«
»Ewan!«, rief Ada im selben Moment besorgt. »Nicht …«
»Lass Mama los!«, schrie Ewan.
Ryle lachte und drehte sich halb zu dem kleinen Jungen um, ohne Gisela loszulassen. Ewan stand mit hocherhobenem Holzschwert da, bereit zum Angriff.
Gisela stockte der Atem.
Nein, Knöpfchen!
Ihr Sohn glaubte tatsächlich, sie vor Ryle retten zu können, was ihr die Tränen in die Augen trieb.
»Sei nicht albern!«, raunte Ryle.
Ewan umklammerte sein Schwert mit beiden Händen. »Lass sie los!«
»Ewan!«, rief Ada, die sich redlich bemühte, den Kleinen abzulenken.
»Nein. Er tut Mama weh«, erwiderte er kopfschüttelnd. »Das darf er nicht.«
»Und du willst mich aufhalten?« Ryle lachte. »Du bist noch nicht einmal vier!«
Ewan schmollte. »Ich bin ein kleiner Krieger!«
»Kleiner Krieger!«,
höhnte Ryle. »Nennt deine Mutter dich so?«
»Lass ihn!«, sagte Gisela.
»Setzt deine Mama dir Flausen in den Kopf, indem sie dir erzählt, du seist ein Ritter?«
»Nein, nicht Mama«, antwortete Ewan, »Dominic.«
Ryle wurde aschfahl und presste die Lippen zu zwei schmalen Linien zusammen.
»Dominic!«
»Er hat auf dem Kreuzzug gekämpft. Und er war mit König Richard in der Schlacht. Er weiß alles über Ritter …«
Gisela bekam entsetzliche Angst. »Ewan!«
Doch noch ehe sie seinen Namen zu Ende gerufen hatte, schlug Ryle zu. Seine Faust flog auf ihren Sohn herab.
»Nein!«, schrie sie und wehrte sich mit aller Kraft gegen Ryles Umklammerung.
Ein dumpfer Knall ertönte.
Ryle heulte auf. »Kleiner Hurensohn!«, ächzte er, das Gesicht zu einer Fratze verzerrt, und schüttelte seinen Arm.
Ewan machte einen Schritt zurück und hob sein Schwert wieder hoch. Stolz funkelte in seinen Kinderaugen.
»Ewan!«, flehte Ada und zog an ihm. »Komm hier rüber, zu mir …«
Ryle holte nochmals aus. Er würde wieder nach Ewan schlagen, härter als vorher.
Giselas Blick fiel auf den Tisch.
Die Schale!
Sie hielt den Atem an und wartete.
In dem Augenblick, in dem Ryle sich bewegte, riss sie ihren Arm zurück. Er lockerte für einen winzigen Moment seinen Griff, und sie war frei. Knurrend wie ein Tier sah Ryle sie an, doch sie warf sich mit
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