Begehrter Feind
nicht erwarten, ihnen allen ihre Untaten mit gleicher Münze heimzuzahlen!
Wut und Erregung brodelten in ihm, ja, er war fast trunken vor Rachgier. Ein dissonantes Schrillen füllte seine Ohren und drohte, das Gespräch der Schurken zu übertönen, die im Begriff waren, loszureiten.
»Behaltet ihn im Auge!«, murmelte Crenardieu in der Nähe. Dann hörte Dominic das Quietschen eines Ledersattels. Der Franzose war auf sein Pferd gestiegen. »Zwei reiten vor ihm, zwei hinter ihm! Falls er fliehen will, schlagt ihn zusammen, bis er ohnmächtig ist!«
»Wieso machen wir das nicht gleich?«, fragte einer der Männer. Der Stimme nach handelte es sich um den Dunkelhaarigen aus der Gasse. Er lachte, und seine Gefährten stimmten ein.
Nur zu, lacht ihr ruhig! Ich werde euch eure Brutalität noch austreiben!
»
Non,
du Narr! Du hast ihn schon beim letzten Mal zu heftig verprügelt. Ich brauche ihn wach genug, damit er meine Fragen beantworten kann.«
Das Schrillen in Dominics Ohren wurde lauter, und er wusste, dass er jeden Moment wieder ohnmächtig würde.
Nein!
Ohnmacht war Feigheit. Er
musste
wach bleiben, sonst war er so nutzlos wie ein einbeiniges Maultier!
Ungeachtet seiner Situation – und seiner Verletzungen – hätte es gar nicht besser kommen können. Mit ein bisschen Glück brachten ihn die Männer an den Ort, wo sie die restliche Seide versteckten. Deshalb musste er zunächst einmal alles mitmachen, wenn auch nicht zu bereitwillig, denn dann würden sie misstrauisch. Er sollte gerade ausreichend Widerstand leisten, um ihnen zu zeigen, dass er sich ihre Behandlung nicht stillschweigend gefallen ließ, durfte jedoch nicht fliehen, bevor er das Versteck kannte.
In der Nähe wieherte ein Pferd, dann hörte Dominic das Klappern von Hufen. Sein Pferd setzte sich in Bewegung, wobei der Hufschlag auf dem harten Boden in seinem Schädel dröhnte. Er schloss die Augen und wollte sich von dem gleichmäßigen Schwanken des Pferderückens einlullen lassen, doch das Tier schüttelte ihn hin und her wie einen Sack Bohnen. Hatten die Schurken ihm absichtlich einen Gaul gegeben, der nicht ordentlich gehen konnte, um ihn zusätzlich zu quälen, oder bildete er sich bloß ein, dass die Mähre so schlecht lief?
Bei Gott, wie viele Meilen würde er so durchhalten müssen, mit dem Kopf nach unten und dem Hintern in der Höhe?
Er hätte sich auf ein spöttisches Stöhnen beschränkt, wäre das Tier nicht just im selben Moment gestolpert. Höllischer Schmerz schoss ihm durch den Kopf. Während er langsam nachließ, kehrten die Erinnerungen an Gisela zurück, die ihn mit vor Schreck und Entsetzen geweiteten Augen ansah.
Gisela.
Süßes Gänseblümchen. Ging es ihr gut? Was war mit ihr und Ewan geschehen, nachdem Ryle in den Laden gekommen war?
Dominic unterdrückte einen Fluch, starrte in die Dunkelheit hinab und blinzelte sich den Staub aus den Augen, den die Hufe aufwirbelten.
Ich komme dich holen, Gisela! Ich lasse dich nicht wieder im Stich wie vor Jahren. Das verspreche ich dir bei meinem Leben.
Gisela stand am Tisch in ihrem bescheidenen Heim und rang die Hände. Neben ihr saß Ewan auf Adas Schoß, fest umfangen von deren Armen, und wenige Meter entfernt stand Ryle, den Rücken zu ihnen gewandt. Er war unheimlich still, während er sich in dem kleinen Zimmer umsah.
Innerlich schrie Gisela vor Angst, und das schrill genug, um die beiden Schurken zu übertönen, die Crenardieu zurückgelassen hatte, damit sie die Schneiderei bewachten – obwohl er die Seide gleich mitgenommen hatte.
Anfangs hatte Gisela sich geweigert, das Versteck der Ballen preiszugeben. Dann aber begannen Crenardieus Lakaien, die Tür zum hinteren Zimmer einzubrechen, und drohten, jeden zu verprügeln, der sich dort aufhielt, sofern sie nicht gehorchte. Da hatte sie nachgegeben. Zusammen mit Ryle hatte Crenardieu beobachtet, wie sie die Dielenbretter entfernte. Dann befahl er seinen Männern, die Seide und die halbfertigen Kleider herauszuholen und die Bretter wieder einzufügen. Anschließend zwang er Gisela, ihn nach hinten zu lassen. Wieder hatte er Ewan auf furchterregende Weise beäugt, ehe er hinausging und zwei seiner Männer anwies, hierzubleiben.
»Sie haben, was Sie wollen!«, hatte Gisela gerufen. »Lassen Sie Dominic gehen und uns in Ruhe!«
Crenardieu aber hatte sie bloß spöttisch angelächelt, ein paar Worte mit den Männern gewechselt, die an der Tür standen und gemeinsam aus einer Taschenflasche tranken, und war
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