Begierde
Sex?«
Vicky knurrte in sich hinein. Sie musste Acht geben, dass sie nicht zu viel von sich verriet. »Hm, ja schon«, erwiderte sie ausweichend, doch Anna schien es gar nicht zu bemerken.
»Du musst dich einfach mal mit den anderen unterhalten, dann wirst du schon sehen – vielleicht mit Michelle. Die ist von ihrem Ehemann hergebracht worden.«
Vicky schüttelte verwirrt den Kopf. »Wieso, du hast doch gesagt, dass hier ist eine Ehevermittlung.«
»Na ja, schon, es gibt aber auch drei Mädchen, die sind schon Ende zwanzig, Elena sogar zweiunddreißig. Michelle und Gabriella zum Beispiel haben jung geheiratet und stecken mitten in einer Ehekrise. Sexuell läuft bei denen fast nichts mehr. Ihre Männer haben sie vor die Wahl gestellt, sich entweder scheiden zu lassen oder ihr Sexleben durch neuen Input aufzumöbeln. Es ist ihnen schlicht zu langweilig. Außerdem hat es sich im Laufe der Jahre wohl so entwickelt, dass es oft Streit gibt und den Männern das ewige Widersprechen ihrer Frauen auf die Nerven geht.« Anna lächelte. »Die meisten wollen eine gehorsame Ehefrau, du weißt schon.«
Im selben Moment ertönte dreimal in kurzer Folge ein Gong. Vicky zog fragend die Augenbrauen hoch.
Anna sprang auf. »Komm, das war das Zeichen sich zum Abendessen zu versammeln. Da lernst du gleich die anderen kennen.« Doch dann zögerte sie. »Aber du brauchst erstmal was zum Anziehen.« Sie musterte Vicky kritisch und riss dann entschlossen eine Schranktür auf. »Wir haben annähernd die gleiche Kleidergröße – na, da haben wir es doch schon. Morgen wirst du bestimmt neu eingekleidet.«
Vicky starrte staunend auf den dicht gefüllten Schrank und auf das hübsche Kleid, das Anna ihr entgegen hielt. Es war figurnah geschnitten, knielang, aus dunkelgrüner schimmernder Viskose, mit einem eingewebten Wellenmuster und einem großen, fast schulterfreien Ausschnitt.
Der Gong ertönte ein zweites Mal.
»Hast du auch Unterwäsche für mich?«, fragte Vicky ein wenig schüchtern.
Anna schüttelte grinsend den Kopf. »Unterwäsche jeglicher Art ist untersagt – außer wir bekommen Dessous zu einem bestimmten Anlass, wurde uns gesagt. Wir sollen uns daran gewöhnen, jederzeit zur Verfügung zu stehen, ohne uns erst umständlich auszuziehen. Wie ich schon sagte, tu was man dir sagt. Nun schau nicht so entsetzt, los zieh dich an.«
Während Vicky sich umzog, durchsuchte Anna die kleine Kammer, in der Schuhe, Jacken, ein Regenschirm und anderes aufbewahrt wurden. Vicky hatte fälschlicherweise vermutet, dass sich dort das Bad befinden würde. Das zweite Paar Schuhe, dass Anna ihr zum Probieren gab, passte Vicky. Schwarze glänzende Pumps.
»Gut siehst du aus«, stellte Anna mit einem leichten Anflug von Neid fest.
Erneut erklang der Gong, jedoch nur noch einmal. Anna packte Vicky an der Hand, riss die Tür auf und zerrte sie hinter sich her. »Schnell, wir haben keine Zeit mehr, dich zu kämmen und zu schminken. Wir sollten pünktlich sein.«
Vicky hatte Mühe, ihr auf dem glatten Parkettboden des Flurs zu folgen, ohne auszurutschen. In Windeseile ging es die Treppe hinunter und einen Gang entlang. Für einen Augenblick spielte Vicky mit dem Gedanken, sich von Anna loszureißen und die Haustür zu suchen. Aber sie würde bestimmt nicht weit kommen. Nein, falls es eine Möglichkeit gab abzuhauen, dann sicherlich nur nachts, wenn alle schliefen.
Vor einer offen stehenden Tür, aus der munteres Stimmengewirr klang, blieb Anna abrupt stehen. Sie zupfte an ihrem Kleid und ihren Haaren herum, anschließend an der Schulterpartie von Vickys Kleid, dann hängte sie sich bei ihr so selbstverständlich und eng am Arm ein, wie es nur unter Freundinnen üblich ist, und sie betraten gemeinsam das Zimmer.
Der Anblick war unbeschreiblich. Das Speisezimmer bot ausreichend Platz für rund zwanzig Personen. Der lange Esstisch befand sich in der Mitte des Raumes. Die antik anmutenden Stühle aus dunklem Holz hatten hohe Lehnen. Über dem Tisch schwebten drei Lampen mit ausschweifenden Armen, auf denen jeweils ein tütenartiges Schirmchen aus dunkelgrünem Glas mit einem Goldrand saß. Vicky erinnerten die fremdartigen Gebilde an ein Medusenhaupt. Die Wände waren mit einer goldenen Tapete dekoriert, darauf ein zartes dunkelgrünes und braunes Muster. Vicky hatte dergleichen noch nie gesehen. Den Übergang zur weiß gestrichenen Decke bildete eine breite Stuckleiste mit vergoldeten Abschlüssen. An den Wänden hingen in gleichmäßigem
Weitere Kostenlose Bücher