Begierde
Wenn du versuchst abzuhauen, wird ein Alarm ausgelöst und wir werden dich finden. Also versuch es am besten erst gar nicht.« Dann griff er ihr unter das Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. Seine Stimme klang sanft und angenehm tief. »Du bist hier um zu lernen, Victoria. Um eine devote, gehorsame Geliebte und Ehefrau zu werden. Du möchtest einen wohlhabenden und attraktiven Ehemann, den gibt es aber nicht umsonst. Dafür musst du schon ein paar Opfer bringen. Also sei vernünftig und mach es dir und uns nicht unnötig schwer. Dann kann die Zeit, die du hier verbringst, durchaus angenehm sein.«
Die Tür wurde leise einen Spalt breit geöffnet. »Darf ich reinkommen?«
Die helle Frauenstimme ließ Vicky erschrocken zusammenzucken. Tomaso ließ Vickys Kinn los. »Ja, komm herein, Anna, wir sind soweit.« Er löste die Handschellen.
»So, das ist Victoria, das ist Anna, deine Zimmergenossin, die dich mit den alltäglichen Gepflogenheiten bekannt machen wird. Außerdem ist es ihre Aufgabe, daran mitzuwirken, dass du das, was die anderen bereits gelernt haben, schnellstens nachholst.«
Dann nickte er den beiden Mädchen aufmunternd zu und verließ ohne weiteren Kommentar das Zimmer. Die beiden würden sich auch ohne seine Hilfe miteinander bekannt machen.
Vicky stand ein wenig ratlos und verlegen neben dem Bett und rieb sich instinktiv die Handgelenke, wo sie kurz zuvor noch das kalte Metall der Handschellen gespürt hatte.
»
Bion giorno
, ich bin Anna.« Sie schüttelte Vicky die Hand, musterte ihr verheultes Gesicht und warf sich dann auf das Bett.
Äußerlich war sie das völlige Gegenteil von Vicky. Glatte dunkle Haare, fast schwarz, mit einem frechen Kurzhaarschnitt und einem sonnengebräunten Teint. Sie trug ein kariertes Sommerkleid mit rundem Ausschnitt und weitem Rock, dazu flache Ballerinas und wirkte in diesem Aufzug wie ein großes Mädchen. Sie betrachtete Vicky mit unverhohlener Neugierde.
»Ich habe schon den ganzen Tag über gespannt darauf gewartet, dich kennenzulernen. Wo kommst du her?«
Vicky setzte sich schweigend auf die Kante des anderen Bettes. Sie war erleichtert, dass Anna nicht fragte, warum sie geweint hatte.
»Jetzt lernen wir uns endlich kennen, gestern Abend konntest du ja leider nichts sehen.« Anna kicherte.
Vicky erstarrte. »Hast – bist du – als ich …«, stotterte sie zusammenhangslos.
Anna lachte nun laut heraus. »Ich glaube, wir haben dir alle ganz schön Angst eingejagt. Tut mir leid. Aber die letzten Wochen waren ein wenig eintönig. Deine Ankunft war die willkommene Abwechslung und ganz schön spektakulär. Wieso warst du denn so widerspenstig? Hast du es dir auf den letzten Drücker anders überlegt? Aber wenn man erstmal ja gesagt hat, gibt’s kein Zurück mehr. Da helfen auch keine Tränen. Wir sind alle schrecklich neugierig auf dich. Eigentlich dachten wir, das Dutzend würde nicht mehr vollgemacht, aber nun bist du ja da. Übrigens sind alle auch fast ein bisschen eifersüchtig – du hast eine sehr gute Figur, einen hübschen Hintern, eine reine Haut und wunderschöne Locken. Noch eine Konkurrentin mehr.«
Über Vickys Wangen breitete sich eine heiße Röte aus. Annas Worte prasselten wie ein Maschinengewehr auf sie ein und am liebsten wäre sie bei dem Gedanken an den vergangenen Abend im Boden versunken.
»Nun sag schon, wieso kommst du erst jetzt? Wir sind alle schon vier Monate hier. Warum hat man dich gefesselt und eingesperrt? Bist du schon verheiratet, steckt dein Ehemann dahinter? Oder was ist passiert, hast du es dir anders überlegt, obwohl du eigentlich einen Ehemann suchst …« Anna plauderte locker drauf los, ohne eine Antwort auf ihre einzelnen Fragen abzuwarten.
Vicky räusperte sich. Sie reckte sich und erwiderte empört. »Ich – ich bin entführt worden. Ich habe erst gedacht, es wäre ein Versehen gewesen oder jemand will Lösegeld erpressen. Aber mein Bruder … ähm, Marc, also – mein Stiefbruder hat mich entführen und hierher bringen lassen. Ich verstehe gar nicht, was ich hier soll. Es ist alles so schrecklich.« Von ihrer Verzweiflung überwältigt warf sie sich bäuchlings auf das Bett. Ihr Körper bebte unter ihrem heftigen Schluchzen.
»Hey, was ist denn los?« Sofort saß Anna neben ihr und strich ihr mit ihren warmen Händen beruhigend über den Rücken. »Aber – wir sind doch alle freiwillig hier.« Sie fuhr fort, sanft über Vickys Arme und Schultern zu streicheln. »Sicher, es gibt Momente, in denen
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