Begierde
Anna mit besorgter Miene.
Stefano kam nicht dazu, zu antworten, denn Vicky sprang auf und ihr Teint nahm eine wütende Röte an. »Seid ihr verrückt? Ich werde überhaupt nicht hier bleiben und ich werde auch nicht an irgendeinem blöden Unterricht teilnehmen.«
Stefano hörte auf, Gabriella zu liebkosen, die verständnislos, mit leicht geöffnetem Mund, zu Vicky aufsah. Sein Gesicht nahm einen harten Zug an. »Du wirst dich wie alle anderen fügen. Es gibt kein Zurück, nachdem du unterschrieben hast.«
»Ich will aber, dass man mich gehen lässt. Ich habe nämlich nichts unterschrieben.«, kreischte Vicky und schlug wie eine Furie mit der Faust auf den Tisch, der aber so massiv war, dass er kaum erbebte, Vicky dafür jedoch die Hand schmerzte. Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
Vom Tischende war ein leises Hüsteln der Patrona zu hören. Die Mädchen hatten gar nicht darauf geachtet, dass sie ebenfalls noch im Raum war. Stefano ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er lächelte überlegen. »Aber, aber – wer wird denn so vergesslich sein? Natürlich hast du unterschrieben. Komm mit, ich zeig’s dir.«
Er gab Vicky einen Wink, ihm zu folgen. Mit mürrischer Miene folgte sie ihm.
Vicky erkannte das Büro der Patrona wieder. Ein dezenter Geruch nach Pfeifentabak lag in der Luft. Natürlich war niemand da. Stefano ging zu einem Schrank, nahm zielstrebig einen Aktenordner heraus, blätterte im alphabetischen Register und schlug eine abgeheftete Seite auf. Er winkte Vicky zu sich.
»Hier, ist das nun deine Unterschrift oder nicht?«
Vicky traute ihren Augen nicht. Sie blätterte vor und zurück, las bruchstückhaft, was im Vertrag stand, dass sie ihre persönliche Freiheit in die Obhut der Patrona abgetreten hatte und wünschte, dass man sie erzog und verheiratete. Die detaillierten Regularien überflog sie nur. Stattdessen starrte sie wieder und wieder auf die Unterschrift, die tatsächlich ihre eigene war. Aber – Tomaso hatte doch gesagt, ihr Bruder hätte sie gewaltsam hierher bringen lassen. Wie kam ihre Unterschrift auf den Vertrag? Ihr Körper vibrierte wie unter tausenden kleiner Stromstöße.
Nein, um Himmelswillen nein, es kann nicht sein. Ich habe alle meine Rechte verloren. Ich bin – eine Leibeigene
.
Wie betäubt wankte sie aus dem Büro. Stefano nahm sie sanft am Arm und führte sie in den Speisesaal und zu ihrem Platz zurück.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Anna und stuppste Vicky von der Seite an.
Vicky schüttelte den Kopf.
»Was ist denn?«
»Ich – ich habe tatsächlich den Vertrag unterschrieben.« Vicky fühlte sich, als habe ihr jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hörte kaum, wie die anderen zu lachen begannen.
»Aber, das ist doch normal. Mit deinem Stundenplan ist auch alles in Ordnung. Wir haben inzwischen das E entdeckt. Wir wollten dich nur ein bisschen auf den Arm nehmen.«
Vicky merkte zwar, dass Anna sie aufmuntern wollte, aber sie war wie betäubt und unfähig etwas zu erwidern.
In den darauf folgenden Tagen war Vicky ruhig und fügsam. Widerstandslos gliederte sie sich in den Tagesablauf ein. Aber bei den Unterrichtsstunden, die auf ihrem Plan standen, war sie nur körperlich anwesend. Sie beteiligte sich nicht, nahm keine Notiz von der jeweiligen Erziehungsperson, saß einfach nur wie eine stumme Puppe auf ihrem Platz und stand auf, wenn die Stunde herum war. Nur beim Fitnessunterricht war sie ein wenig aktiver, lief ihre fünf Kilometer auf dem Laufband, mühte sich mit Gewichten ab, um ihre schwachen Oberarmmuskeln zu stärken, machte ihre Situps und andere Übungen wie gewünscht. Mit der entsprechenden Fitness würde es ihr leichter fallen zu flüchten. Daneben grübelte sie. Wie kam ihre Unterschrift unter den Vertrag?
Sie zuckte zusammen, als jemand ihren Namen rief. »Victoria. Du bist auch aufgerufen, dich zu beteiligen. Also – welche Dekoration würdest du verwenden, wenn ihr, dein Ehemann und du, Gäste zum Abendessen erwartet, und es soll alles sehr seriös und elegant wirken?«
Vicky zog die Schultern hoch. »Keine Ahnung. Vielleicht eine weiße Tischdecke und silberne Kerzenleuchter?«
Rosa verdrehte die Augen. Sie war mehr als nur die Köchin und gute Seele des Hauses. Sie war auch dafür zuständig, mit den jungen Damen Menüvorschläge und Tischdekorationen zu besprechen sowie ihnen gute Tischmanieren beizubringen. Vicky fühlte sich bei jedem Essen von ihr beobachtet, denn jedes Mal kam sie zu ihr und hatte etwas
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