Beginenfeuer
mit so viel unterschwelligem Groll vor, dass sie nur noch mehr Ärger erntete.
»Hinauf mit dir!« Alaina wies mit ausgestreckter Hand auf die Treppe, die zum Schlafgemach der obersten Begine führte. »Und keinen Ungehorsam der ehrwürdigen Mutter gegenüber. Sonst wirst du die nächsten Wochen ausschließlich beim Wollewaschen verbringen.«
Ysée nahm die Drohung ernst und senkte schweigend den Blick. Alaina wusste, dass sie diese Arbeit hasste, und sie würde nicht zögern, eine solche Strafe auszusprechen. Alles daran war ihr schrecklich. Die Eintönigkeit der sich wiederholenden Handgriffe, der ranzige Gestank des Wollfettes und die Feuchtigkeit, die am Ende auch in Kleidern und Haaren hing. Beim Wollewaschen half es nicht einmal, von schönen Dingen zu träumen. Das Säubern und Brühen der angelieferten Schafschur war eine der schwersten und hässlichsten Arbeiten, die es im Beginenhof zu tun gab.
Ehe sie die Kammer im ersten Stock betrat, versuchte Ysée mit aller Kraft die seltsame Stimmung dieses Tages zu überwinden. Es widerstrebte ihr, Methildis von Ennen zu begegnen, wenn sie vor Aufbegehren kochte und am liebsten etwas Ungeheuerliches getan hätte, um etwas zu erreichen, das sie nicht einmal beim Namen nennen konnte. Die Magistra war die Seele des Beginenhofes, gütig, gerecht und warmherzig. Alle Schwestern liebten sie, und Ysée hätte freudig ihre Seligkeit dafür hingegeben, dass sie wieder gesund wurde.
»Komm näher, Kind, und steh nicht in der Tür, als würdest du am liebsten gleich wieder davonstürmen.« Methildis van Ennen lag, von mehreren Kissen gestützt, in ihrem Alkoven, als Ysée endlich eintrat. Sie unterdrückte ein Hüsteln und winkte sie mit einer Geste näher.
»Ihr habt nach mir rufen lassen, ehrwürdige Mutter und Maestra«, begrüßte das junge Mädchen die Kranke respektvoll. Sie gebrauchte wie viele der anderen Schwestern den alten Titel für die Meisterin, den die Vorsteherinnen des Beginenhofes trugen, seit die Gemeinschaft im Jahre 1245 zur eigenständigen Pfarrgemeinde der Stadt Brügge geworden war. Gräfin Margareta von Flandern war dies zu verdanken. Sie hatte sich damals der Vermittlung des Bischofs von Tournai bedient. Seine Eminenz hatte unter einer Bedingung zugestimmt: Die Beginen mussten ein eigenes Gotteshaus besitzen. Methildis van Ennen hatte Ysée vor vielen Jahren erzählt, wie die Gemeinschaft der Beginen dieser Forderung entsprochen hatte. Noch heute konnte sie nicht an der Beginenkirche vorbeigehen, ohne sich daran zu erinnern. Im Zentrum der Stadt hatte zu Gräfin Margaretas Zeit ein kleines Kirchlein gestanden, das nach dem Bau eines großen Gotteshauses nicht mehr benötigt wurde. Die Beginen hatten jeden einzelnen Stein dieser Kapelle aus den Mauern gelöst und in den Weingarten geschleppt. Es hatte fast ein halbes Jahr gedauert, die Kirche dort wieder aufzubauen, aber im Januar 1245 war das Werk vollbracht. Der Heiligen Mutter geweiht, bildete die Pfarrkirche bis zum heutigen Tag den Mittelpunkt der frommen Gemeinde vom Weingarten. Pater Felix, der Priester, der ihr im Augenblick vorstand, lebte in einem Steinhaus draußen vor der Mauer, am anderen Ende der Brücke zum Weingartenplatz. »Lass dich anschauen«, sagte die Magistra jetzt. »Dreh den Kopf zum Fenster, ja so… gütiger Himmel, wie ähnlich du ihr siehst.«
Ysée schwieg. Was konnte die Meisterin wohl meinen? Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wem sie ähnlich sah. Nur eines war kaum zu leugnen, zwischen ihr und Berthe gab es keine äußerliche Verwandtschaft. Sie wusste, warum, Berthe war gar nicht ihre Mutter. Kannte die oberste Begine dieses streng gehütete Geheimnis ebenfalls?
»Es ist an der Zeit, dass wir über deine Zukunft sprechen, Kind«, fuhr sie zu Ysées Verblüffung fort. »Es geht nicht an, dass du weiter deine Tage als Magd vertust. Nachdem deine Mutter keinen Versuch unternommen hat, eine Ehe für dich zu arrangieren, musst du nach den Regeln des Weingartens als selbstständige Begine aufgenommen werden. Das bedeutet, du bist Novizin, bis dich der Rat der Schwestern billigt und willkommen heißt. Da du keine Mitgift einbringst und kein eigenes Vermögen besitzt, kannst du der Gemeinschaft nur mit deinem Fleiß und deiner Frömmigkeit dienen.« Sie hob abwehrend die Hand, als das Mädchen den Mund öffnete. »Lass mich zu Ende kommen. Ich denke, dass du unter den Schwestern, die im Hospital der Beginen ihren Dienst tun, deine Aufgabe finden solltest. Das
Weitere Kostenlose Bücher