Beginenfeuer
Simon wie sein Bruder gefürchtet. Mit einem Male bekamen alle Andeutungen und Warnungen einen Sinn. »Dafür müssten die hohen Herren doch wohl einen triftigen Grund angeben«, warf die zweite Meisterin entrüstet ein. »Was wirft man uns vor?«
Bruder Étienne zog einen Brief unter seinem Skapulier hervor und entfaltete ihn umständlich, ehe er seinen lateinischen Inhalt mit eigenen Worten wiedergab.
»Man wirft den Beginen vor, dass sie keine religiosae, also Mitglieder eines anerkannten Ordens sind, weil sie kein Gehorsamsgelübde leisten und nicht auf Privateigentum verzichten. Sie befolgen keine approbierte Regel und besitzen die schädliche Neigung, über religiöse Fragen diskutieren zu wollen. Ja, es gibt sogar Beginen, die über Land ziehen und Predigten halten.«
Nach einer kurzen, unheilvollen Stille ergriff die ehrwürdige Mutter das Wort.
»Noch ist die Entscheidung nicht gefallen. Erst wenn Seine Heiligkeit das Verbot mit einer Bulle verkündet, ist unsere Sache verloren. Wir müssen die Lebensform verteidigen, die wir bewusst gewählt haben.«
Das Wenige, das Violante von Renard und den anderen Leges-Studenten gehört hatte, sagte ihr, dass die Meisterin Recht hatte. Die Beginen benötigten einen Rechts gelehrten, der ihre Sache auf dem Konzil vertrat. Einen der Doktores der Universität Paris, die schon König Philipp dem Schönen jede Menge wohlfeile Argumente zur Vernichtung des Templerordens verschafft hatten.
Sollte sie diesen Vorschlag machen? Es fiel ihr schwer, in Gegenwart des Beichtvaters ihre Gedanken auszusprechen. Musste er es nicht für Ketzerei halten, wenn sie Rechtsbeistand gegen die Kirche forderte?
Bruder Étienne hatte sie die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen.
Nun sagte er bedächtig: »Man müsste einen Weg finden, die offizielle Anklage gegen die Beginen zu verhindern. Wenn es zum Beispiel nur eine interne Untersuchung gäbe, die die eine oder andere neue Bestimmung, aber kein völliges Verbot zur Folge hat, würde das Schlimmste verhindert.«
»Wie könnte man ein solches Wunder bewirken?«, fragte die Subpriorin praktisch. »Es gäbe vielleicht eine Möglichkeit…« Der Beichtvater sah Violante bedeutsam an.
M ATHIEU VON A NDRIEU
Paris, Ile de Cité, 15. September 1311
Die Liste der Anweisungen wollte kein Ende nehmen. Guillaume von Nogaret verlas sie im sachlichen Prozesston. Er hatte bis ins Detail die Vorschriften für Mathieus Delegation in Vienne ausgearbeitet.
»Es genügt.« Der König verlor die Geduld. Immer häufiger unterbrach er in der letzten Zeit den Großsiegelbewahrer in seinem Redeschwall. »Andrieu ist kein Anfänger. Er weiß, dass er die Würde der Krone vertritt und Seine Heiligkeit hinhalten muss.« Sein Blick ging dabei zu Mathieu. Nogaret nickte mit säuerlicher Miene. Seine Agenten hatten herausgefunden, dass der Papst jede Diskussion über die Templer hinauszuzögern suchte, bis der König selbst vor dem Konzil in Vienne erschien. Seine Majestät dachte allerdings nicht daran, dem nachzukommen, und schon gar nicht wollte er sich dafür einen Zeitpunkt vorschreiben lassen. Er hatte vielmehr beschlossen, Mathieu von Andrieu mit einem wahren Hofstaat von Bewaffneten, Boten, Schreibern und königlichen Beamten vorauszuschicken, um seine Ankunft vorzubereiten. Wennschon, wollte er erst in den nächsten Monaten nach Vienne reisen. Je nervöser Seine Heiligkeit sein Fernbleiben machte, desto leichter würde es danach sein, Entscheidungen durchzusetzen, die im Sinne der Krone waren. Eine Strategie, die sich einmal mehr le terrible ausgedacht hatte. Mathieu verabscheute das Katz-und-Maus-Spiel, das ihm dieser Auftrag auferlegte, aber ihm blieb keine Wahl. Er musste dem Befehl gehorchen. Violantes Schutzbrief und das Gold für die Beginen von Strasbourg hatten ihn seine finanziellen Reserven gekostet. Er bereute es nicht, aber in Augenblicken wie diesem hätte er gerne sein Geschick gewendet.
»Die Ehre dieses Auftrags macht Euch nicht glücklich.« Der König las seine Gedanken, und Mathieu zuckte ertappt zusammen. Sollte er lügen?
»Ich bin Euer Majestät gehorsamer Diener«, entschied er sich für die knappste Version der Wahrheit.
»Eben«, entgegnete der König genauso kurz angebunden und deutete auf Nogaret. »Geht mit dem Großsiegelbewahrer und lasst Euch über die weiteren Einzelheiten der Reise aufklären. Nach Vienne sehen wir weiter.«
Mathieu hätte den letzten Satz gerne hinterfragt, aber er ahnte, dass er
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