Beginenfeuer
Höfen zusammen, wie er ihn in Brügge kennen gelernt hatte. Hier waren sie eine Wirtschaftsmacht geworden. Falls die Kirche die Beginen zwang, einem Orden beizutreten, würde ihr Besitz in die Hand des Klerus übergehen. Ihre Steuern für die Städte würden entfallen. Die Fürsten würden sich widersetzen. Der Raum drehte sich vor Simons Augen. Er musste sich an der Dokumententruhe abstützen.
Im Machtkampf zwischen Kirche und Krone würden die Beginen der Basis ihrer Existenz beraubt, und der Frau, die er mehr liebte als sein Gelübde, konnte er nicht helfen. War ihm das als Buße auferlegt?
V IOLANTE VON C OURTENAY
Strasbourg, Haus zum Turm, 15 September 1311
Es duftete nach Herbst, nach Äpfeln, letzten Rosen und den wenigen Lavendelzweigen, die Violante den Bienen in den Büschen an der Mauer gelassen hatte. Die anderen trockneten, sorgsam zu Sträußen gebunden, am Hauptbalken des Vorratsschuppens. Der große Gemüsegarten zog sich bis zum Ufer der Ill hinunter. Jeden Tag schritt Violante sorgsam die Beete ab. So wie sie es liebte, ihre wissbegierigen Schülerinnen zu unterrichten, so war es ihr ein Bedürfnis, auf Knien die Erde zu lockern und Wurzeln oder Samen zum Wachsen und Blühen zu bringen. Jetzt erfuhr sie, warum Schwester Alaina im Weingarten diese Arbeit keinem anderen überlassen hatte. Schon mehr als ein Jahr war sie ein geachtetes Mitglied der Schwesternschaft vom Turm. Die überschaubare Gemeinschaft lebte hinter den Toren, die auch hier bei Sonnenuntergang geschlossen wurden. Die Magistra der Gemeinschaft, Luitgarda Brant, und ihre Subpriorin, wie in Strasbourg die zweite Meisterin genannt wurde, Schwester Gertrudis Stoll, waren beide Witwen ehrbarer Strasbourger Bürger und mit der Tüchtigkeit von Frauen gesegnet, die gelernt hatten, einen großen Hausstand zu führen. Sie begegneten Violante mit mehr Respekt, als ihr lieb war, denn sie waren überzeugt davon, dass der König von Frankreich seinen Schutzbrief für eine Verwandte unterzeichnet hatte, an deren Wohlergehen ihm lag. Das ununterbrochene Klappern der Webstühle begleitete den ganzen Tag. Die Strasbourger Beginen fertigten feines Haibund Schleiertuch. Von der ersten Meisterin wusste sie, dass über das Gebiet der Stadt Strasbourg verteilt rund tausend Beginen lebten und webten. Die Menge Tuch, die so in den Handel kam und sich der Kontrolle der Zünfte entzog, beunruhigte Violante. Auch wenn sie sich ihren Erinnerungen meistens verweigerte, der Weingarten hatte sie tief geprägt. Sie saß in ihrem Gemach in einem gemütlichen Stuhl und dachte über die Zerwürfnisse in Brügge nach. Hätte sie etwas an den Ereignissen ändern können? »Schwester Violante?« Eine Begine streckte den Kopf herein.
»Die ehrwürdige Mutter möchte mit Euch sprechen. Sie erwartet Euch im Refektorium.« Dankbar für die Störung sah sie auf.
»Sag ihr, ich komme gleich. Ich habe im Garten gearbeitet und muss mir erst die Hände säubern und einen frischen Schleier anlegen.«
»Aber beeilt Euch. Pater Étienne von den Predigerbrüdern ist ins Haus gekommen, und die Subpriorin wurde auch dazu gebeten.«
Eine wichtige Besprechung also. Ein Gefühl der Unruhe überkam Violante. Sie legte hastig die Schürze ab, goss Wasser in eine Zinnschüssel und wusch sich, ehe sie eiligen Schrittes zum Refektorium ging.
»Da seid Ihr ja, Schwester Violante.« Die ehrwürdige Mutter deutete auf den Platz neben Bruder Étienne. »Setzt Euch. Wir haben wichtige Nachrichten bekommen, die uns zwingen, uns zu beraten.«
»Seine Heiligkeit Papst Clemens wird am fünfzehnten Tag des kommenden Oktobers zu Vienne das Konzil eröffnen, das seit dem vergangenen Jahr anberaumt ist«, begann Bruder Étienne bedeutungsschwer zu sprechen.
Von diesem Konzil hatte Violante schon in Paris reden gehört. Es sollte in erster Linie die vielfältigen Anklagen gegen den Orden der Tempelritter zu einem endgültigen Ende bringen und anstehende Verwaltungs- und Glaubensfragen debattieren. Ihre Anspannung wich für einen Augenblick. Sie war wohl nur wegen ihrer vermeintlichen Verwandtschaft zum König zu dieser Unterredung geladen worden, beruhigte sie sich. Der Predigerbruder zögerte, aber die erste Meisterin schien um ihre gewohnte Ruhe gebracht. Sie beugte sich vor und bedeutete ihm fortzufahren.
»Bedauerlicherweise beabsichtigen die Kirchenväter auf diesem Konzil, das Beginenleben künftig zu verbieten.« Violantes Herz verkrampfte sich. Das also hatten sowohl
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