Beginenfeuer
den König damit unnötig reizen würde. Er war in den vergangenen Monaten noch verschlossener und einsilbiger geworden. Seine Frömmigkeit beherrschte ihn, obwohl er mit der Kirche in Fehde lag. Die ihn nicht näher kannten, bezeichneten ihn als Menschen ohne jedes Gefühl, aber das war eine höchst oberflächliche Einschätzung.
Die Zeiten prächtiger Jagden gehörten der Vergangenheit an, und der Hof glich nach dem Tod der Königin mehr einem Kloster denn einem Palast. Der Monarch verbarg vor der Welt seine Emotionen, weil er fürchtete, man würde sie für Schwäche halten. Die Trauer um seine Gemahlin, die Enttäuschung über seinen ältesten Sohn, der bei Hofe nur der »Zänker« genannt wurde, verbitterten ihn, und er konzentrierte seine ganze Kraft darauf, seinem Erben ein starkes, unangreifbares Königreich zu hinterlassen.
Vielleicht sollte er dem König sogar dankbar dafür sein, dass er nicht in Paris bleiben und sich mit all diesen Unerfreulichkeiten am Hof auseinander setzen musste, sagte sich Mathieu im Stillen und folgte dem Großsiegelbewahrer in die königliche Kanzlei.
»Ihr werdet nie zu einem Lehen kommen, wenn Ihr so wenig Begeisterung für die Aufträge des Königs an den Tag legt«, sagte Nogaret überraschend, kaum dass sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.
Dass ausgerechnet Nogaret sich um sein Wohlergehen kümmerte, machte Mathieu misstrauisch. Der ganze Hof wusste, dass le terrible im Süden riesigen Grundbesitz vom König geschenkt bekommen hatte, seine Pächter mit harter Hand regierte und sich um niemandes Wohl den Kopf zerbrach. »Ihr wisst mehr über meine Wünsche als ich selbst«, sagte er ausweichend.
Für einen Augenblick maßen sie sich mit Blicken. Er misstraut mir, obwohl er mir nie nachweisen konnte, dass ich beim Verschwinden Pierre de Bolognes meine Finger im Spiel hatte, schoss es Mathieu durch den Kopf. Er wird jeden meiner Schritte in Vienne belauern und auf einen Fehler warten. »Ihr seid ein ehrlicher Mann, Andrieu, und das ist mehr, als man von den meisten Menschen sagen kann«, erwiderte der Großsiegelbewahrer. »Dennoch habt Ihr in letzter Zeit die wichtigste Eigenschaft eingebüßt, die in den Diensten Seiner Majestät erforderlich ist: unbedingter Gehorsam. Ein Gehorsam, der eigene Gefühle und Pläne ausschließt. Tut ein letztes Mal Eure Pflicht in Vienne, und ich werde dafür sorgen, dass Ihr angemessen dafür entlohnt werdet.«
»Angemessen?«
Mathieu hörte selbst, dass seine Stimme argwöhnisch klang. Was hielt le terrible für angemessen? Vielleicht ein Wohnrecht im Châtelet?
»Ich schätze Euch, Andrieu, auch wenn Ihr das nicht glauben wollt. Ihr seid ein guter Ritter, wenn auch nicht immer ein geschickter Politiker. Meine Aufgabe ist es, dem König zu dienen und seine Probleme zu lösen. Dafür brauche ich vertrauenswürdige Mitstreiter.«
Mathieu registrierte die eigentümliche Mischung aus Drohung und Anerkennung. Ausgerechnet auf le terribles Großzügigkeit angewiesen zu sein beunruhigte ihn mehr, als es ihn erleichterte. Er betrieb die Abreise aus Paris mit drängender Eile.
Chalon, das schon zu Zeiten der Gallier einen bedeutenden Hafen besessen hatte, platzte vor Menschen aus allen Nähten. Der Tross des Königs musste immer wieder anhalten, und es blieb viel zu viel Zeit, sich umzusehen und Bekanntes zu entdecken.
»Von hier wären es nur zwei Tagesreisen, um Andrieu zu erreichen«, wandte sich Jean, der neben ihm ritt, an Mathieu. »Ich weiß«, entgegnete Mathieu. »In der Stadt ist die Zeit der foire aux sauvagines, des Pelzmarkts für Kleintiere.« Er hatte diesen Markt, der im Frühling und im Herbst abgehalten wurde, in seiner Jugend gemeinsam mit Vater und Bruder besucht. Die Erinnerungen bedrängten ihn ebenso wie Jean Vernier, nachdem sie durch das Stadttor geritten waren. Jean ließ seine Blicke schweifen. »Es ist wie früher. Jäger, Händler, Wilderer und Tuchschneider versuchen sich gegenseitig übers Ohr zu hauen. Chalon ist die Stadt der Pelze. Wer sich mit Marder-, Dachs- und Fuchsfellen eindecken möchte, findet hier beste Auswahl. Auch die Jäger von Andrieu haben…«
»Auch das weiß ich.«
Mathieus gereizter Blick erstickte Jeans Mitteilungsbedürfnis, doch gleichzeitig ärgerte er sich darüber, dass er dem Alten ins Wort gefallen war. Er ließ seine schlechte Laune an ihm aus, die ihren Grund darin hatte, dass er ein Ersatzpferd ritt, dessen nervöse Anwandlungen in der Menge eine strenge Handhabung
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