Beginenfeuer
beendet sein soll.«
»Er kann froh sein, dass er ein Zuhause hat, wo man ihn willkommen heißt. Ich möchte nicht wissen, was Mabelle täte, wenn ich wieder vor unserer Tür stünde.«
»Wenn sie Verstand hat, wird sie dem Himmel dafür danken«, sagte Vernier nachdenklich.
Mathieu musste sich in diesen Tagen dazu zwingen, der Residenz des Erzbischofs fernzubleiben. Seit ihn die knappe Nachricht erreicht hatte, Violante sei in Sicherheit, wartete er umsonst auf weitere Neuigkeiten. Obwohl er sich jeden Morgen beschwor, keine unsinnigen Gedanken an sie und seinen Bruder zu verschwenden, tat er es trotz allem. Seine Vernunft sagte ihm, dass Simon nicht mit nach Hause kommen würde, aber sein Herz hoffte unverdrossen weiter. Und was Violante betraf, war er hin- und hergerissen.
»Ist das wahr? Ihr schickt mich nach Hause? Warum?« Jeannot platzte ohne jeden Anstand herein. Mit hochrotem Kopf stand er vor Mathieu und forderte Rechenschaft. Mathieu unterdrückte den ersten Impuls, diesen ungehobelten Auftritt zu rügen. Er sah den gekränkten Stolz in Jeannots Augen und fühlte unerwartetes Verständnis für ihn. Auch er war einmal jung und ungestüm gewesen, wild entschlossen, sein Bestes zu geben, die Unschuldigen zu verteidigen und die Bösen zu bestrafen. Lag das wirklich erst eine Dekade zurück? »Du bist kein Kind, das man nach Hause schickt, weil es ungehorsam war, Jeannot«, sagte er bedacht. »Ich vertraue deinem Onkel und dir die Aufgabe an, meine Interessen in Andrieu zu wahren, bis ich mich selbst darum kümmern kann. Wenn du dich davon überfordert fühlst, musst du es mir sagen.«
»Bei Gott, nein! Ich will alles für Euch tun, Seigneur. Ich dachte wirklich, ich hätte Euch…«
»… enttäuscht«, unterbrach Mathieu ihn. »Du hast Jean nicht richtig zugehört.« Er warf Vernier einen warnenden Blick zu. Der Alte stand in der Tür und sah aus, als wolle er den Jungen an den Ohren nach draußen ziehen. »Du hast ihn sicher missverstanden, was ich dir gerne verzeihe.«
Jeannots Gesicht färbte sich rot. Beschämt senkte er den Kopf zum Zeichen seines Gehorsams.
»Gut, dann geh und mache dich zur Abreise bereit. Ich verlasse mich auf dich.«
Der Junge brachte eine passable Reverenz zustande, ehe er verschwand.
»Ich danke dir.« Jean Vernier hatte gewartet, bis sie allein waren. »Er wird für dich durchs Feuer gehen.«
»Hoffen wir, dass ihm und uns diese schreckliche Erfahrung erspart bleibt«, erwiderte Mathieu ernst. »Für einen Augenblick sah ich mich in ihm wie in einem Spiegel.«
»Du wirst deinen Söhnen einmal ein besserer Vater sein, als es der Herr von Andrieu dir und deinem Bruder gewesen ist.« Söhne? Er lauschte dem Klang des Wortes nach und trat ans Fenster. Söhne brauchten eine Mutter. Aber die Frau, die er sich in dieser Rolle vorstellen konnte, liebte seinen Bruder.
B RUDER S IMON
Vienne, Palast des Erzbischofs, 22. Oktober 1311
»Ich habe in so vielen Nächten den verbotenen Traum geträumt, dich in den Armen zu halten, dass ich nun nicht mehr weiß, ob ich wache oder schlafe.«
Simon umfing Violante. Er spürte, dass sie sich an ihn schmiegte. Sie zuckte etwas zurück, als ihre Wange das Gewebe des groben Hemdes berührte. »Warum tragt Ihr das?«
»Um nie zu vergessen, dass ich ein Sünder bin.«
»Was ist so schlimm an Euren Sünden, dass Ihr sie nicht einfach beichten könnt?«
»Du weißt es. Ich habe deine Eltern auf dem Gewissen und deine Heimat in Schutt und Asche gelegt.« Er spürte, wie sie den Kopf schüttelte.
»Das sind die Sünden der Väter. Ich will nicht, dass sie weiterhin zwischen uns stehen. Gott ist gnädig. Ihr müsst nicht ein solch schreckliches Hemd tragen. Er hat Euch sicher schon verziehen.«
Die Stille des kleinen Raumes lag wie dunkler Samt zwischen ihnen. Der Kerzendocht knisterte. Er vernahm ihre schnellen Atemzüge, danach ihre sanfte Stimme.
»Zieht es aus. Darunter ist der wahre Simon. Ich sehne mich danach, ihn kennen zu lernen.«
Sie hob die Hände und streifte rasch die Haube von den Haaren. Ein paar Nadeln klapperten zu Boden. Eine leuchtend helle Strähne fiel ihr über die Schläfe. Simon spürte, wie er in ihren Bann gezogen wurde. Für ihn gab es kein Entkommen mehr. Violante zog ihn zum Bett, und er ließ es willenlos mit sich geschehen. Wie in Trance verfolgte er ihre Bewegungen, bis sie ebenfalls im Hemd vor ihm stand. Sie strahlte Würde und Entschlossenheit aus. »Was tust du?«
»Warum fragst
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