Beginenfeuer
genommen habe. Ich denke nicht, dass es etwas Schlimmes ist«, entgegnete sie. »Woher willst du das wissen? Du solltest deine Schwester auf jeden Fall zum Hospital führen«, forderte er Eudora auf. »Es ist nicht nötig.«
»Seid vernünftig!« Der Pater erstickte Violantes Widerspruch im Keim. »Zukünftig werde ich nichts mehr für Euch tun können. Die Beginenhöfe werden aufgelöst«, kam Pater Étienne zur Sache. »Ihr müsst den Heimweg alleine antreten. Ich werde nicht mit Euch kommen, denn ich habe Strasbourg für immer verlassen. Von nun an diene ich dem Heiligen Vater.« Beide Frauen wechselten einen verblüfften Blick. »Ihr lasst uns im Stich?«
»Ich tue meine Pflicht an anderer Stelle. Bruder Simon wird sich beim Erzdiakon Seiner Heiligkeit für meine Person verwenden.«
Da sei dir nicht zu sicher, kommentierte Violante die hochtrabende Behauptung stumm. Sie presste die Lippen aufeinander. Sie glaubte jetzt zu wissen, weshalb Simon den Dominikaner in seinen Erwartungen bestärkte. Er wollte ihn davon abhalten, ihr zu schaden, indem er Pater Étienne Hoffnungen machte. Durchdrungen von seiner neuen Wichtigkeit stolzierte er ohne Abschiedsgruß davon.
»Ich wäre wahrhaftig froh, wenn ihm der Sekretär eine Anstellung bei Seiner Heiligkeit beschaffen würde«, platzte Eudora heraus. »Niemand wird böse sein, wenn wir ohne ihn nach Strasbourg zurückkommen. Vielleicht teilt uns sein Abt dann endlich einen Beichtvater zu, der nicht in jeder Frau die Verkörperung der Erbsünde sieht.«
»Wer sagt uns, dass die Beginen von Strasbourg künftig überhaupt noch einen Beichtvater benötigen?«, fragte Violante. Eudora dachte über ihre Frage nach. »Wenn wir hier keine Aufgabe mehr haben, gehört es sich nicht, länger in der Stadt des Konzils zu verweilen. Wir müssen unsere Heimreise antreten.«
»Strasbourg?«
Als sie den Namen aussprach, wurde Violante klar, dass sie nicht mehr in den Norden zurückwollte. Sogar dann nicht, wenn der Beginenhof zum Turm die stürmischen Zeiten überleben sollte, die ihm bevorstanden. Sie suchte den Blick ihrer Mitschwester.
»Habt Ihr Heimweh nach Strasbourg, oder könntet Ihr Euch vorstellen, auch an einem anderen Ort zu leben?«, erkundigte sie sich vorsichtig.
»Wenn die Höfe aufgelöst werden, meint Ihr?« Eudora setzte sich an ihre Seite und faltete die Hände im Schoss. Sie wusste genau, was sie wollte.
»Auf jeden Fall möchte ich nicht in einem Kloster leben«, beantwortete sie Violantes Frage. »Ich will die Freiheit behalten, über mich selbst zu bestimmen, wie es den Beginen erlaubt ist. Das ist mir wichtiger als der Blick auf den Turm des neuen Münsters. Ehrlich gesagt, würde ich auch gern bei Euch bleiben, Schwester. Ich habe Euch ins Herz geschlossen.« Ihre Augen trafen sich. Tief in Violante meldete sich die verschüttete Erinnerung an eine kleine Freundin. An Ysée. Das war es. Eudora erinnerte sie an Berthes Tochter, ihre Halbschwester. Sie lächelte.
»In diesem Fall müssen wir versuchen, klüger als Pater Étienne zu sein«, versuchte sie Pläne zu machen. »Bruder Simon wird uns dabei helfen.«
»Seid Ihr sicher, dass es gescheit ist, wenn wir unsere Hoffnungen auf ihn setzen? Er ist ein Mann, und wenn er auf der Seite des Paters steht, kann das wenig Gutes für uns bedeuten. Am Ende ist er auch dafür, uns in ein Kloster abzuschieben.«
»Vertrau mir.«
Violante hielt Eudoras zweifelndem Blick stand. Sie konnte ihr nicht sagen, warum sie sich ihrer Sache so sicher war. »Die Gottesmänner sind der Ansicht, dass es eine Ehre ist, in ein Kloster aufgenommen zu werden. Wer sagt Euch, dass der Bruder anders denkt? Was habt Ihr von ihm erfahren?« Was sollte sie darauf antworten? Die Wahrheit? Sie entschied sich für die Wahrheit. »Ich weiß, dass ich ihm mein Leben anvertrauen kann.«
B RUDER S IMON
Vienne, Kathedrale des heiligen Maurice, 23. Oktober 1311
Es roch betäubend nach Weihrauch. Der Dom hatte sich geleert, und in der Kapelle der heiligen Apollonia waren die Kerzen längst gelöscht worden. Simon wartete auf den Kardinal und zügelte seine Ungeduld. »Ihr seid pünktlich, Bruder.«
»Monsignore.«
Sein Gruß blieb reserviert. Auf den ersten Blick erkannte er nur den Kardinal. Dann entdeckte er die dunkle Silhouette des Franziskanermönchs, der beim Kapelleneingang an einer alten römischen Säule stand.
Der Kardinal trug die lilafarbenen Handschuhe seines Amtskleides und strich über die Blätterborte am
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