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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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genug bleibt. Ich bin gerne bereit, Euch einen Teil meiner Aufgaben im Beginenhof zu übertragen. Bildet Euch Euer eigenes Urteil über die Magistra und ihre frommen Schwestern. Es sind brave Frauen. Ihr werdet es sehen, wenn Ihr ihnen die Beichte abnehmt. Man tut ihnen unrecht, mit all dem Gerede über Häresie. Man spielt damit nur den Zünften in die Hände. Sie wollen allen Handel in der Stadt ausschließlich unter ihrer Kontrolle haben, damit sie die Preise nach eigener Willkür festlegen können.«
    »In der Heiligen Schrift steht, die Frau soll gehorchen und schweigen, und nicht, sie soll handeln und lehren«, hielt ihm der junge Ordensbruder entgegen.
    Pater Felix schmunzelte. »Ich werde noch eifriger dafür beten, dass die oberste Magistra der Beginen wieder gesundet. Dann werde ich mit Vergnügen lauschen, wie sie Eure Worte aus derselben Bibel widerlegt.«
    »Seht Ihr, Bruder. Genau das ist es.« Simon fühlte sich bestätigt. »Eben aus solchem Grunde ist die erwähnte Begine seit zwei Jahren in Paris eingekerkert. Die Auslegung der Bibel ist allein die Sache des Heiligen Vaters und seiner Kirchenfürsten.«
    Pater Felix bedachte seinen Gast mit einem Blick, der in krassem Widerspruch zu seinem gutmütigen Aussehen stand. »Ihr habt mich missverstanden. Die Magistra ist eine kluge, fromme Frau. Nichts liegt mir ferner, als ihr Ketzerei oder Ungehorsam nachzusagen. Ich bin der Seelsorger des Beginenhofes vom Weingarten. Ihr könnt versichert sein, dass es in diesen Mauern nur rechtgläubige Seelen gibt.«
    Simon schwieg und bemühte sich, die heftigen Regungen seines Gemütes unter Kontrolle zu bekommen. Seltsamerweise tauchte ausgerechnet in diesem Moment ein Gesicht mit fragenden grünen Augen vor ihm auf. Augen, die ihn angesehen hatten, als würden sie ihn kennen. Sie hatte ihn beobachtet, wie er ihren Vater tötete. Erinnerte sein Anblick sie daran? Was war er für sie? Ein Mörder? Ein Sünder? Ein Büßer? »Esst, Bruder.«
    Pater Felix schob das Brett mit dem Schinken näher. Sein Gast war so zerstreut, dass er sich nun doch eine Scheibe davon absäbelte, während ihn der Priester nachdenklich musterte.
     
     
     
    D EMUT
    Beginenhof vom Weingarten am Martinstag 1309
     
    »Gott lässt nämlich zuweilen Übles geschehen, wegen des größeren Guten, das nachher daraus entstehen kann.« Ysée ließ das Buch sinken, aus dem sie der Magistra vorgelesen hatte, und suchte den Blick der Kranken. »Welch seltsame Dinge diese Schwester doch sagt. Meint Ihr, dass sie Recht hat?« Die Magistra betrachtete das Mädchen auf dem Hocker. Ysée trug nicht die faille, sondern eine einfache Flügelhaube, die einen perfekten Rahmen für ihr anziehendes Gesicht bildete. Ihr Gewand war so oft gewaschen, dass der natürliche Braunton zu Beige verblasst war, aber es war fleckenlos rein. Sie gab sich erkennbar mehr Mühe mit ihrer Erscheinung als je zuvor. Methildis van Ennen führte das auf Schwester Alainas Einfluss zurück. Es war an der Zeit gewesen, Ysée der nachlässigen Hand ihrer Mutter zu entziehen. Wenn Berthe überhaupt ihre Mutter war, was die oberste Meisterin mehr denn je bezweifelte, obwohl Mareike ihr Geheimnis mit ins Grab genommen hatte.
    Sie vermied es, mit Ysée über die Stunden im Hause Cornelis zu sprechen, wenngleich sie sehen konnte, dass die Totenwache bei dem Mädchen eine augenfällige Veränderung bewirkt hatte. Die Begegnung mit dem Tod hatte Ysée reifer und noch stiller gemacht, als sie es ohnehin schon war. So wie die Dinge lagen, würde sie nun bei den Beginen bleiben, und das war sicher nicht das Schlechteste, das einer jungen Frau ohne Namen und ohne den Schutz einer Familie zustoßen konnte. Ihre Ähnlichkeit mit der ersten Frau von Piet Cornelis mochte zwar verblüffend sein, aber sie stellte keinen Beweis für die abenteuerlichen Vermutungen dar, die der Magistra durch den Kopf gegangen waren. Nur Mareike Cornelis hätte Licht in das Dunkel bringen können. Dass sie es am Ende nicht getan hatte, musste sie mit ihrem Schöpfer ausmachen. »Unsere Schwester Margarete weiß sehr wohl, wovon sie schreibt«, beantwortete Methildis van Ennen endlich Ysées Frage, als das Mädchen schon längst nicht mehr damit gerechnet hatte. »Sie sagt dir, dass jede Seele ihren eigenen Weg zur göttlichen Vollkommenheit finden kann. Sie vergleicht die Anstrengungen dorthin mit jenen, die ein Mensch hinter sich bringen muss, wenn er einen hohen Berg ersteigt. Hat er schließlich den Gipfel erklommen,

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