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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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wird er der Liebe unseres Herrn teilhaftig.«
    »Und warum sollte er sich dort hinaufplagen?« Ysée kam die Frage vernünftig vor, aber die oberste Meisterin schaute sie streng an.
    »Weil es seine Pflicht ist, Gott nach besten Kräften zu dienen, gerade wenn er sich dafür abmühen muss«, entgegnete sie. »Nimm dir zu Herzen, was die Schwester geschrieben hat, und lies weiter.«
    Ysée nickte gehorsam. Ihr gefielen die stillen Stunden am Bett der Magistra, die sowohl Alaina wie auch Berthe missbilligten. Alaina, weil sie den gewohnten Arbeitsablauf unterbrachen, und Berthe, weil sie in dieser Zeit nicht bedient wurde. Glücklicherweise hatte keine von ihnen die Macht, die Anordnungen der Maestra zu übergehen. Es war jedoch nicht nur die Erholung, die Ysée die Stunden so angenehm machte, auch das Buch, aus dem sie der Todkranken vorlesen musste, faszinierte sie mit jeder Seite mehr.
    Eine Begine mit dem Namen Margarete Porète hatte die fromme Schrift »Spiegel der einfachen vernichteten Seelen, die nur im Wunsch und in der Sehnsucht nach Liebe verharren« verfasst. Ysée hatte anfangs kaum glauben können, dass eine Frau dies vollbracht haben sollte. Je mehr sie indes davon las, umso mehr fühlte sich auch ihr Geist von seinem Inhalt angesprochen. Sie konnte es nachvollziehen, dass die eigene Seele erst durch das »Tal der Demut« wandern musste, wie die Begine es nannte, ehe sie über viele weitere Stufen am Ende das Licht göttlicher Liebe und Vollkommenheit erreichen würde. Auch Ysée befand sich in diesem Tal und sehnte sich unendlich nach uneingeschränkter Liebe.
    Als sie mit den Fingerspitzen achtsam das nächste Blatt wendete, bemerkte sie indes, dass die Magistra mit geschlossenen Augen vor ihr lag und ohne Mühe atmete. Sie schlief. Ysée bedauerte es und empfand sogleich Reue über so viel Eigennutz. Sie gönnte der Kranken diese Atempause inmitten ihres Leidens von Herzen, aber für sie bedeutete es, dass sie zu Alaina zurückkehren musste. Gerade als sie sich abwenden wollte, schrak die Magistra wieder auf und griff nach ihrer Hand. »Unser Herr im Himmel behüte dich, Kind. Sei gehorsam und übe dich in Demut.« Die Worte klangen heiser und angestrengt. »Ich wünschte… Ach, es ist zu spät. Nimm das Buch an dich. Ich fürchte, du wirst es ohne mich fertig lesen müssen.«
    »Aber…«
    »Versteck es unter deinem Gewand, damit es Schwester Alaina nicht sieht. Sie würde weder verstehen, was darin steht, noch, weshalb ich es ausgerechnet dir schenke. Sie ist eine gute Meisterin, aber sie kümmert sich mehr darum, dass wir alle zu essen haben, denn um die mystisch theologischen Fragen unserer Gemeinschaft.«
    »Ein Buch, für mich?«
    Ysée blieb vor Erstaunen der Mund offen. Die Magistra hatte sie Schreiben und Lesen gelehrt, aber bislang hatte sie ihre Fähigkeiten viel zu selten üben können. Bücher waren teuer und kostbar. Nur die wenigsten Beginen besaßen einen solchen Schatz. Alaina hütete sogar die Rechnungsbücher des Beginenhofes in einer eigens dafür angefertigten Truhe, damit sowohl das Leder, in das sie gebunden waren, wie das kostbare Pergament geschont wurden.
    »Hüte es gut und zeige es keiner Menschenseele«, mahnte die Magistra eindringlich. »Beug dich zu mir, Kind.« Ysée folgte der Bitte und spürte, dass die Meisterin mit zitternden Fingern ein Kreuz auf ihre Stirn malte. Fast wäre sie zurückgewichen. Es kam so gut wie nie vor, dass sie liebevoll berührt wurde. Ihre Erinnerungen an Umarmungen, Küsse, zärtliche Gesten lagen so weit in der Vergangenheit, dass sie inzwischen nicht mehr wusste, ob sie einmal Wirklichkeit gewesen waren.
    »Auch für dich wird Gutes aus dem Schlechten entstehen, wenn du gehorsam bist und deine Pflicht tust. Gott schütze dich, Ysée.« Die Kranke erlitt einen neuerlichen Hustenanfall und verstummte.
    Ysée stand erstarrt und reglos. Nahm die Meisterin etwa Abschied von ihr? Das durfte nicht sein! In wildem Protest umspannte sie das Buch so heftig, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten und ihre Arme bebten. »Lass mich allein, Kind. Geh!«
    Die Magistra schickte sie fort. Die Zurückweisung weckte schlimme Erinnerungen, aber sie gab ihr gleichzeitig die Kraft zu gehorchen.
    Im letzten Moment dachte Ysée noch daran, das Buch wie befohlen unter ihrem Obergewand zu verstecken, ehe sie das Gemach verließ. Die steile Holztreppe verschwamm vor ihren Augen. Es gelang ihr nicht, ein Schluchzen zu unterdrücken. Sie lief blindlings aus dem

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