Beginenfeuer
diesem Vormittag dermaßen mit Händlern, Bürgern, Handwerkern und Müßiggängern überlaufen, dass die beiden Reisenden kaum die fest gestampfte Erde zwischen all diesen Menschen erkennen konnten. Viele der Lagerhallen, die den rechteckigen Platz umstanden, waren aus Stein errichtet worden und verfügten über geschützte Laubengänge, die Verkaufsstände und Läden beherbergten. Seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts hatte Brügge begonnen, sich planmäßig zu vergrößern. Der zweite Grachtenring um die Stadt, der nun auch die Klöster mit einbezog, war ebenso ein Zeichen dafür wie die neuen Bürger- und Zunfthäuser.
Mathieu von Andrieu stützte die Hände auf den hohen, mit spanischem Leder überzogenen Holm seines Sattels und prüfte den Beifried, wie das kritisierte Bauwerk in Brügge genannt wurde. Seine Glocken bestimmten das Leben der Stadt. Die atemberaubende Holzkonstruktion des hohen Zunftturmes erhob sich über den zwei rechtwinkligen Steingeschossen der riesigen Tuchhalle. Mathieu wusste, dass dort die große Truhe aufbewahrt wurde, in der die wichtigsten Urkunden der Stadt Brügge lagerten. Zumindest jene, die den Brand des ersten Turmes im Jahre 1280 überstanden hatten, bei dem sogar die große Glocke herabgestürzt war, die jetzt wieder hoch über der Stadt ihren Ruf erschallen ließ.
Der Beifried war ein Symbol für Bürgermacht und Handwerkstradition. Seine Glocke verkündete die Stunden und befahl die Bürger zusammen. Von seinem Balkon über dem Eingang wurden neue Verordnungen und Gesetze verkündet, und er rief im schlimmsten Fall zu Aufruhr und Krieg. Der letzte Alarm, die Brügger Mette, lag gerade einmal sieben Jahre zurück. Am 17. Mai 1302 hatten die wütenden Bürger die Leliaerts, die Lilienmänner, niedergemetzelt und damit das Signal zu einem Aufstand gegeben, der in der Schlacht von Kortrijk seinen Höhepunkt gefunden hatte. Kein Wunder, dass Jean ein Gesicht machte, als säße er nicht im Sattel, sondern auf einem Ameisenhaufen.
Straßenlärm, Geschrei und das ständige Quietschen der Kräne an den Kanalufern machten es fast unmöglich, sich zu verständigen. Mathieu deutete mit einer Kopfbewegung über den Markt hinaus, auf eine Reihe von Zinnen und Dächern, die zwar nicht so hoch aufragten wie der Beifried, aber dennoch alle anderen Häuser dominierten. Das war unzweifelhaft der Prinzenhof, die Residenz der Grafen von Flandern. Der Geleitbrief des Königs sicherte ihnen dort Quartier und alle Unterstützung, die Mathieu für seinen Auftrag benötigte. Seit auf Befehl Balduins von Flandern vor mehr als vierhundert Jahren die ersten Mauern dieser Burg errichtet worden waren, hatte sich aus der bescheidenen Anlegestelle Bryggia eine der größten Handelsstädte des Abendlandes entwickelt. Auch eine der einträglichsten Steuerquellen Philipps des Schönen, fügte Mathieu im Geheimen hinzu.
Jean Vernier atmete sichtbar auf, als sie den Vorhof des Schlosses erreichten. Mathieu warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Brügge rebelliert nicht mehr, Alter. Brügge kauft und verkauft. Damit ist es so beschäftigt, dass ihm keine Zeit für Aufruhr bleibt.«
»Wolle Gott, dass du Recht hast«, knurrte der Waffenmeister und stemmte sich aus dem Sattel. Er übergab die Zügel seines Pferdes einem herbeieilenden Stallknecht, wobei ihm ein leises Ächzen entfuhr. »Ich werde langsam zu alt für ganze Tage im Sattel.«
Mathieu glitt mit der Unbeschwertheit eines Mannes zu Boden, der das Gewicht des leichten Kettenhemdes kaum spürte, das er unter seinem Waffenrock trug. Er wies seinen Gefährten nicht darauf hin, dass es sein eigener Wunsch gewesen war, ihn nach Brügge zu begleiten. Jeans gelegentliche Anfälle von Missmut wogen wenig im Vergleich zu seiner unerschütterlichen Treue.
Die königliche Mission verschaffte ihnen nicht nur gastliche Aufnahme im Hause des Grafen, sie rief auch das mit Respekt vermischte Misstrauen hervor, das die Flamen allen Boten aus Paris entgegenbrachten. Vermutlich verbreitete sich aus diesem Grunde die Neuigkeit von ihrer Ankunft so schnell durch die Stadt, dass die Glocken dieses Tages noch nicht einmal zum Schließen der Tore geläutet hatten, als sich schon der erste Besucher einfand.
»Piet Cornelis, Schöffe der Stadt Brügge, Handelsherr und ehrenwertes Mitglied der Zunft der Wollhändler«, meldete ein steifer Lakai in den Farben des Grafen von Flandern. Der Haushofmeister des Prinzenhofes hatte den Gästen Räume und Gesinde zur Verfügung
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