Beginenfeuer
Herstellung und der Verkauf des Tuches sind die wichtigsten Einkommensquellen der Beginen.«
»Ich leiste auch da meinen Teil. Ich spinne Wolle«, erwiderte Ysée erleichtert. Auf solche Fragen wusste sie wenigstens eine Antwort. »Körbeweise. Außerdem tu ich, was man mir befiehlt, und ich bemühe mich, es so zu machen, dass die Schwestern mit mir zufrieden sind.«
»Und deine Mutter?«
»Die ist nie mit mir zufrieden.«
Frage und Antwort folgten so schnell aufeinander, dass Ysée erst im Nachhinein stutzte. Sie wusste, dass sie vorwurfsvoll geklungen hatte. Sie gewahrte, dass sich die steile Falte in der Mitte von Pater Simons Stirn vertieft hatte. Warf er ihr vor, dass sie ihre Mutter tadelte? Sie hatte die Wahrheit gesagt, alles andere wäre eine Lüge gewesen.
»Gott hat den Müttern die schwere Pflicht auferlegt, ihre Kinder zu aufrechten Christenmenschen zu erziehen.«
»Hat er ihnen nicht auch geboten, ihre Kinder zu lieben?«
»Es genügt, Gott zu lieben«, sagte Pater Simon. An der Art, wie sich das Grün ihrer Augen eintrübte, sah er, dass ihr seine Antwort nicht gefiel.
»Ich liebe Gott«, erwiderte sie schlicht. »Aber es würde mein Leben auf Erden leichter machen, bekäme ich ebenfalls ab und zu ein freundliches Wort und nicht immer nur Rügen und Strafen.«
Simon versteinerte. Es war seine Schuld, dass diese junge Frau ein Leben führte, das weder ihrer Geburt noch ihrem Wesen angemessen war. Seine Sünde und die seines Bruders. Ysée beobachtete ihn durch den Schleier ihrer Wimpern. Sie fühlte seine Betroffenheit, aber sie begriff nicht, was sie hervorgerufen hatte. Sie zweifelte keinen Augenblick daran, dass sein Unmut mit ihr zu tun hatte. Niemand war mit dem zufrieden, was sie tat oder sagte.
»Ich verlange zu viel, ich weiß«, sagte sie kleinlaut. Ihre Hoffnungslosigkeit traf ihn mehr als jeder Widerspruch. Die schmale Gestalt vor dem Hintergrund des herbstlich kahlen Gartens, das blasse Antlitz und die traurigen Augen weckten den Wunsch in ihm, sie in die Arme zu nehmen und vor allem Bösen zu beschützen. War es ihm vom Schicksal bestimmt gewesen, sie ausgerechnet hier wieder zu finden? Trieb es ihn aus diesem Grund so unwiderstehlich dazu, ihre Nähe zu suchen und mit ihr zu sprechen?
»Und wenn du nun die Wahl hättest? Was würdest du gerne tun?«
Ysée dachte gründlich über diese erstaunliche Frage nach, ehe sie den Mund öffnete. Sie hatte vergeblich versucht, alle Hoffnungen und Träume aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen. Es war ihr lediglich gelungen, sie tief in ihrem Herzen zu vergraben. Jetzt zögerte sie, die Tür zu öffnen, hinter der sie sich verbargen. Eines gab es, das sie sagen konnte, ohne gegen die Regeln der Beginen zu verstoßen.
»Ich würde gerne all die Bücher lesen, die in der Truhe der Magistra liegen. Auch würde es mir gefallen, den Schwestern zu helfen, die die Mädchen unterrichten, deren Eltern sie in den Beginenhof schicken, damit sie bei uns Lesen, Schreiben und Rechnen lernen.«
Simon ließ sich gleichermaßen Zeit mit seiner Antwort. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Vielleicht die üblichen Weiberwünsche nach schönen Kleidern, einem bequemeren Leben, Bewunderung und Luxus. Aber beileibe keine Sehnsucht nach Wissen! Welch seltsame Flausen den Frauen in der Beginengemeinschaft doch in den Kopf gesetzt wurden. »Es ist nicht die Sache der Frauen, zu lehren und zu wissen«, sagte er vor lauter Verblüffung strenger, als er eigentlich wollte. »Schon in der Bibel steht: ›Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still.‹«
Ysée gewann den Eindruck, dass Pater Simon die Bibel einseitig zitierte. Von wem hatte sie ihren Wunsch nach Wissen, wenn nicht vom Schöpfer, der ihr Leben und Verstand gegeben hatte? Sollte sie die Gaben Gottes verschwenden, indem sie ihre Talente gering schätzte?
»Du hörst das nicht gerne.« Simon deutete ihr Schweigen als Ablehnung. »Aber glaube mir, solche Vorschriften schützen dich. Die Frau ist nicht dafür geschaffen, komplizierte Zusammenhänge zu begreifen. Du würdest nur durcheinander kommen und vielleicht sogar den rechten Weg aus den Augen verlieren. Es ist zu deinem Besten, wenn du deinen Kopf nicht mit Betrachtungen belastest, die in Büchern stehen.«
»Zu meinem Besten…«
Ysée hätte am liebsten zornig mit dem Fuß aufgestampft, aber sie ahnte, dass sie dem Mönch damit nur den Beweis für die weibliche Schwäche
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