Beginenfeuer
erwiderte Josepha ungerührt. »Pater oder nicht, er ist ein gefälliges Mannsbild. Was ich indes sagen wollte, ist, dass man sich von seiner angenehmen Erscheinung nicht täuschen lassen sollte. Er gehört dem Orden der Zisterzienser an, und er kennt keine Nachsicht, auch wenn es um lässliche Sünden geht. Er hat Schwester Berthe fünfzig Ave Marias beten lassen, nur weil sie am Freitag ein Stück Dörrfleisch vom Vortag aufgegessen hat.«
»Schwester Berthe sollte langsam wissen, dass wir Beginen am Freitag fasten und kein Fleisch zu uns nehmen«, hörte Ysée Clementia leise antworten. »Sie wird noch ihr Gewand sprengen, wenn sie sich beim Essen nicht mäßigt. Es hat ihr sicher nicht geschadet, zur Mutter Gottes zu beten, statt sich wie eine Mastgans voll zu stopfen.«
»Ei, das ist üble Nachrede gegen eine Mitschwester, und die müsst Ihr ebenfalls bei unserem gestrengen Pater beichten, meine Liebe.« Josepha behielt schadenfroh das letzte Wort. Ysée verzog das Gesicht. Josepha führte stets die Regeln der Beginen im Mund, sie selbst hielt sich indes wenig daran. Dabei schrieb genau diese Satzung vor, dass eine jegliche Schwester die andere herzlich lieben und weder in Worten noch in Taten beleidigen sollte. Ysée bezweifelte, dass Josepha Liebe empfinden konnte. Sogar ihre Freundschaft mit Berthe war eher von Eigennutz denn von Zuneigung geprägt. Heimlich verglich Ysée die Begine mit einem der Blutegel, die die Schwester Apothekerin ansetzte, wenn es galt, das Gift aus einer Wunde zu saugen oder zu großen Blutandrang zum Herzen zu verhindern. Josepha trank jedes Quäntchen Zuneigung, das Berthe besaß. Da blieb nichts für eine Ziehtochter, die ohnehin bloß Unglück über sie gebracht hatte.
Ysée unterdrückte ein Seufzen, während sie in einer zweiten Schüssel Wundsekret und Eiterreste aus ihrem Waschleinen wrang, ehe sie es wieder mit Wermutwasser befeuchtete. Wie durfte sie über Josepha richten, wenn sie doch auch Probleme hatte, alle Schwestern gleichermaßen zu lieben? Alaina beispielsweise fürchtete sie im besten Falle. »Oh mein Gott…«
Die Kranke brachte Ysée in die Wirklichkeit zurück. »Verzeiht, habe ich Euch wehgetan?«
»Nein, Schwester. Ihr habt Hände wie ein Engel, aber dieses Brennen ist unerträglich.« Die Frau umklammerte Ysées Arm. Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn.
»Ihr müsst Geduld haben«, sagte Ysée sanft. »Mit Gottes Hilfe und dem Balsam unserer Apothekerin werden Eure Beine wieder heilen. Habt Vertrauen.«
Sie bemühte sich noch mehr als zuvor, der Kranken keine Schmerzen zu bereiten. Die Frau durfte sich ohnehin glücklich schätzen, dass ihr Mann sie zu den Beginen und nicht in das Aussätzigenhospiz vor der Stadtmauer gebracht hatte. Die panische Angst vor dem Aussatz führte häufig dazu, dass viele Menschen dort aus Furcht und Ahnungslosigkeit der Gefahr ausgesetzt wurden, sich viel Schlimmeres als normale Krätze zu holen.
»Träum nicht. Eine jede Arbeit ist dazu da, dass sie zügig und ohne Zeitverschwendung getan wird.«
Schwester Alaina tauchte so unverhofft neben ihr auf, dass Ysée zusammenzuckte. Da sie inzwischen gelernt hatte, dass es sinnlos war, auf jeden Vorwurf zu antworten, ließ sie sich in ihrer Tätigkeit nicht unterbrechen. Trotz aller Schmerzen beneidete sie die Pflegebedürftigen in den Kastenbetten manchmal um ihr Schicksal. Sie erfuhren wenigstens Sorge und christliche Nächstenliebe.
Was ihr selbst im Falle einer schlimmen Krankheit widerfahren würde, wollte Ysée gar nicht wissen. Vermutlich würde sie in der Siechenhalle landen, wo die Ärmsten der Armen auf einfachen Strohsäcken lagen und von der Mildtätigkeit der Beginen zehrten. Die Alkoven blieben den wohlhabenden Bürgern von Brügge vorbehalten. Familien, die es sich leisten konnten, die Schwestern dafür zu bezahlen, dass einer der Ihren gepflegt und versorgt wurde, bis er genesen war oder in die ewige Seligkeit einging.
»Den frischen Verband legt eine erfahrene Pflegerin an«, befahl Alaina. »Du begleitest mich in die Kräuterkammer.« Ysée beeilte sich mit zusammengebissenen Zähnen. Die Arbeit im Hospital war ihr in wenigen Tagen so wichtig geworden, dass sie sich aufrichtige Mühe gab, die hohen Anforderungen ihrer Lehrmeisterin zu erfüllen. Unter ihren scharfen Augen zitterten ihre Hände zwar ein wenig, aber ein weiterer Tadel blieb ihr erspart. Vermutlich auch, weil Alaina von Josepha abgelenkt wurde.
»Wie geht es unserer geliebten Dame
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