Beginenfeuer
NDRIEU
Prinzenhof in Brügge, 18. November 1309
Die faille, in messerscharfe Falten gelegt, erinnerte Mathieu mehr an einen Kriegshelm als an eine weibliche Kopfbedeckung. Vielleicht auch, weil das Gesicht darunter resolute Kampfbereitschaft signalisierte. Der feine weiße Batist reichte bis über die Brauen in die Stirn hinein, die Augen schimmerten wie schwarze Kieselsteine. Iris und Pupille gingen nahtlos ineinander über, und der schmallippige Mund, die lange Nase sowie das ausgeprägte Kinn vollendeten das Bild einer frommen Kriegerin, die nicht allzu groß, aber doch beeindruckend präsent wirkte.
Wenn die Dame indes angenommen hatte, dass sich der Gesandte des Königs von so viel Ablehnung einschüchtern lassen würde, unterlag sie einem Irrtum. Mathieu gönnte seinem Gast eine knappe Reverenz, deutete auf eine Holzbank an der Wand und lehnte sich selbst mit dem Rücken gegen die Mauerkante einer tiefen Fensternische. Hinter ihm fiel das Mittagslicht durch grün-weiße Glasrauten. Die Fenster waren der einzige Luxus der fast leeren Kammer.
Schwester Alaina erfasste augenblicklich, dass sie es mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun hatte. So ohne weiteres wollte sie sich freilich nicht in die Rolle der Angeklagten drängen lassen. Sie übersah die Aufforderung, sich zu setzen, und ging sofort zum Angriff über.
»Ihr habt im Namen Seiner Majestät unseres Königs nach der Magistra der Beginen geschickt und um ihren Besuch gebeten, Seigneur. Da unsere ehrwürdige Mutter krank daniederliegt, bin ich gekommen. Mein Name ist Alaina Groeningsvelde. Ich bin die zweite Meisterin der Beginen vom Weingarten.«
»Steht es schlimm um Eure Magistra?«
»Sie ist alt, Seigneur.«
Die ruhige Aussage trug nicht dazu bei, Mathieu mehr Gefallen an der Begine finden zu lassen. Sie erinnerte ihn auf befremdliche Weise an Guillaume von Nogaret. Sie hätten Bruder und Schwester sein können, vereint im Streben, mit der unbedingten Erfüllung ihrer Pflicht die eigene Person zu etwas Besonderem zu machen. Nogaret tat dies, um den König zu beeindrucken, aber wem wollte Alaina Groeningsvelde gefallen? Ihrem Herrgott?
Er ersparte sich die Bekundung seines Mitgefühls, auf das sie ersichtlich keinen Wert legte, und kam sofort zu seinem Anliegen. »Der Gildevorstand der Brügger Zünfte hat bei Seiner Majestät Klage gegen die Gemeinschaft der Beginen vom Weingarten geführt. Der König hat mich nach Flandern entsandt, um Klarheit in diese Angelegenheit zu bringen. Seine Majestät ist verwundert über die Unstimmigkeiten zwischen den städtischen Zünften und dem prinzlichen Beginenhof, Madame.«
Er brachte es nicht über sich, ehrwürdige Mutter zu Alaina Groeningsvelde zu sagen. Auch stand ihr die Anrede Magistra noch nicht zu, obwohl sie sich so benahm. »Die Gilden…«, sagte sie verächtlich, sodass Mathieu die folgenden Worte kaum benötigte, um ihre Meinung zu erfahren. »Die Herren sind uns gram, weil wir es abgelehnt haben, unsere Wolle durch ihre Vermittlung zu beziehen. Ganz davon zu schweigen, dass sie auch das fertige Tuch gerne in die Hände bekommen würden. Es verärgert sie, dass wir unsere Geschäfte selbst tätigen und ihre Maklerdienste verschmähen. Es steht nicht dafür, sie ernst zu nehmen.«
»Das zu entscheiden ist allein Sache Seiner Majestät. Dem König liegt der Stadtfrieden von Brügge am Herzen. Nach den Ereignissen der Vergangenheit werdet Ihr das sicher nachvollziehen können.« Mathieu behielt die Begine genau im Auge.
»Den Frieden gefährden jene, die uns aus Neid und Gewinnsucht verleumden, Seigneur. Wir haben hinter unseren Mauern nichts damit zu schaffen. Wir dienen allein Gott mit unseren Gebeten und unserer Arbeit.«
»Über diese Arbeit wünscht der König Genaueres zu erfahren«, entgegnete Mathieu unerschütterlich ruhig. »Er hat dem Hof vom Weingarten das Privileg der Steuerfreiheit eingeräumt, weil er ein gutes Werk zu tun wünschte und nicht weil er ihm weltliche Reichtümer ermöglichen wollte.« Die unverblümte Anschuldigung verwirrte Alaina für die Dauer eines Herzschlages. Blitzartig hatte sie sich wieder gefasst. »Dank der Großmut des Königs müssen wir weder Krone noch Kirche mit unserer Existenz belasten«, sagte sie energisch. »Wenn unsere Arbeit Früchte trägt, so dienen diese nur dazu, den Weingarten zu erhalten und Gutes zu tun.«
»Dann werdet Ihr mir für Seine Majestät sicher Einsicht in Eure Rechnungslegung gewähren, damit jeder Zweifel ausgeräumt
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