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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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hatte nicht geahnt, dass sie längst lesen konnte, als sie davon sprach, die Bücher der Magistra studieren zu wollen. War sie nicht das beste Beispiel dafür, wie schändlich das Lesen einer Frau zusetzte? Man musste Ysée nur ansehen, um zu erkennen, dass es besser gewesen wäre, sie hätte diese Nachricht nie verstanden, was auch immer sie enthielt.
    Er bückte sich nach dem Pergament und überflog die Zeilen mit der mühelosen Kompetenz eines Mannes, der Tage und Wochen damit verbracht hatte, die Korrespondenz Seiner Heiligkeit zu archivieren und zu beantworten. Dann allerdings erblasste auch er.
    »Dieser Mann hat den Verstand verloren!«, rief er entrüstet. Ysée fuhr auf.
    »Gebt mir die Botschaft. Sie gehört mir. Sie braucht Euch nicht zu kümmern.«
    »Du musst sie fortwerfen. Verbrennen. Vernichten!« Ysée staunte über die Leidenschaft seiner Forderung. Die dunkelblauen Augen sprühten Feuer, und er trat so nahe an sie heran, dass sie die rötlichen Spuren des Messers sehen konnte, mit dem er erst an diesem Morgen Kinn und Wangen vom Bartwuchs befreit hatte. An einer Schnittwunde im Mundwinkel verschorfte Blut. Warum hatte er nicht besser auf sich geachtet?
    »Ihr müsst Ringelblumenbalsam darauf tun, dann entzündet es sich nicht«, sagte sie leise.
    »Was? Wer…?« Verwirrt von ihrer Antwort runzelte er die Stirn.
    »Ihr habt Euch beim Rasieren verletzt«, erklärte sie. »Wenn Ihr keine Narben behalten wollt, dann…«
    »Wen kümmert das«, fiel er ihr ins Wort. »Musst du immer ablenken, wenn ich von wichtigen Dingen spreche?« Ysée wich zurück. Die Wirklichkeit hatte wenig mit den dummen Träumen der Nacht zu tun. Er empfand nicht den Hauch von Zuneigung für sie, und sie musste ihren ganzen Stolz aufbieten, ihre Verzagtheit zu verbergen. Sie streckte auffordernd die Hand aus und zwang sich, dem strafenden Blick standzuhalten.
    »Gebt mir den Brief. Er gehört mir.«
    »Nein! Fass ihn nicht noch einmal an. Er spricht von Frevel, von Gottlosigkeit und Sünde. Vergiss, dass du ihn gelesen hast.« Ysée wich vor ihm zurück. Ohnehin von dem absurden Wunsch des Tuchhändlers verwirrt, wurde sie von der heftigen Reaktion des Mönchs völlig aus der Fassung gebracht. »Du darfst dich nicht in Versuchung führen lassen.« Simon beherrschte seinen Gefühlsaufruhr, so gut er konnte, nur seine Stimme klang schroffer als sonst. »Du darfst diesem Ansinnen kein Gehör geben!«
    Ysée hatte nicht die geringste Absicht, dies zu tun, aber sie wehrte sich gegen seinen neuerlichen Versuch, über ihr Leben zu bestimmen.
    »Ihr habt kein Recht, mir Befehle zu erteilen«, erinnerte sie ihn widerspenstig. »Ich werde Schwester Alaina diesen Brief geben«, log sie. »Das darfst du nicht.«
    Es war mehr eine flehentliche Bitte als ein Befehl. Er sah Ysée an. Es war furchtbar, die Wahrheit konnte er ihr nicht sagen. Sein Beichtgeheimnis hinderte ihn daran.
    »Vertrau mir, ich bitte dich«, bat er eindringlich. Er fasste nach der schmalen Hand, die noch immer den Brief forderte. Sie erstarrten beide unter der Berührung. Ysée, weil sie zum ersten Male eine Männerhand hielt. Simon, weil er noch nie eine Frauenhand gehalten hatte, die sich, von harter Arbeit gezeichnet, dennoch so zart und weiblich anfühlte. Jeder war sich der Betroffenheit des anderen bewusst. Ihre Blicke trafen sich. Ysée glaubte in seinen Augen die verzweifelte Sehnsucht nach Liebe zu entdecken, die auch sie suchte. Nach einem kurzen Augenblick gab er die Hand überstürzt frei und mied den Blick in ihre Augen.
    »Du musst nicht alles in Zweifel ziehen, was ich dir sage. Ich will dich schützen, weshalb glaubst du mir das nicht?«
    »Warum?«
    Die atemlose Rückfrage versetzte Simon in Aufruhr. Das Beichtgeheimnis versiegelte ihm die Lippen, aber sein Verstand und, schlimmer noch, sein Herz forderten Taten. Im Zwiespalt zwischen Pflicht und Wunsch suchte er Zuflucht in der christlichen Lehre.
    »Du bist eine Tochter Gottes, und ich bin sein Diener auf Erden.«
    Ysée senkte enttäuscht die Lider. Sie hatte eine Erklärung erwartet, einen Grund für sein Handeln, Nähe, menschliche Zuneigung, nur keine Ausflüchte in fromme Belehrung. Als sie ihn wieder ansah, wich er ihrem Blick aus und schickte sie fort. Sollte er das Pergament doch behalten. Wortlos verließ sie das Gotteshaus.
    Simon blickte ihr nach, und es war gut, dass Ysée den Ausdruck in seinen Augen nicht sehen konnte. Würde er einen Weg aus diesem Chaos finden?
     
     
    M ATHIEU VON A

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