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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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Tod herbeizuführen. Der Ruf zur morgendlichen Messe hatte das Lamento glücklicherweise unterbrochen.
    Ysée mühte sich, während des Paternosters nicht mit den Zähnen zu klappern. Die Kerzen am Altar flackerten im Zugwind, und der Steinboden verströmte so viel feuchte Kälte, dass ihre Knie bereits gefühllos wurden. Sehnsüchtig dachte sie an den gepolsterten Betstuhl in Mareike Cornelis’ prächtiger Kammer. Dort fiel es bestimmt leichter, den Herrn für seine Güte zu preisen. Sie hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als sie sich auch schon dafür schämte. Pater Simon hätte sie sicher dafür getadelt. Sie stieß einen leisen Seufzer aus und sah zum Altar, wo der Mönch Pater Felix bei der Messe assistierte. Sie bemerkte nicht, dass sie im Mittelpunkt der Neugier stand und mit manchen Blicken bedacht wurde. Die Tatsache, dass die Maestra sie unter die persönliche Anleitung der zweiten Meisterin gestellt hatte, sorgte für Neugier und Getuschel unter den Mitschwestern. Bislang war sie eine von vielen gewesen, wieso war sie auserwählt worden? Bisher hatte sie weder durch überragende Frömmigkeit noch mit überdurchschnittlichem Fleiß auf sich aufmerksam gemacht. Womit hatte sie sich eine solche Bevorzugung verdient?
    Als eine der letzten Schwestern in der langen Schlange der frommen Frauen trat Ysée aus dem Gotteshaus. Soeben glitten die ersten Sonnenstrahlen über die Dächer der Häuser auf der anderen Seite der Wiese. Regentropfen glitzerten im Gras, Tauben gurrten in den kahlen Lindenzweigen. Langsam löste sich die Gruppe auf, und jede ging ihrem Tagwerk nach. Alaina eilte in das Kapitelhaus der Maestra. Ysée hielt inne. Würde sie sich umdrehen und nach ihrer Schülerin Ausschau halten, oder hatte sie die Chance, die versäumte Morgenmahlzeit nachzuholen, ehe ihre Pflichten begannen?
    Sie versuchte sich möglichst klein zu machen, aber Schwester Luzias gebückter Rücken bot wenig Schutz. Da sie eines der ältesten Mitglieder der Gemeinschaft war, genoss sie allgemeinen Respekt. Mit ihrer Magd lebte sie in einem Haus in der Nähe des Tores zur Weingartenbrücke und war nicht mehr sehr gut zu Fuß. Als sie strauchelte, bot Ysée ihr eben in dem Augenblick hilfsbereit den Arm, als Alaina sie ins Auge fasste. Nachdem sie ihr kurz zugenickt hatte, setzte sie ihren Weg fort. Offensichtlich hatte Alaina nichts dagegen einzuwenden, dass sie zuerst Schwester Luzia nach Hause geleitete. Auf dem Rückweg blieb sie kurz vor dem Tor stehen. Die Pflastersteine glänzten feucht, und der Bogen der Brücke endete genau vor der Tür des Pfarrhauses, das mit seinen roten Backsteinen und den weißen Simsen in der Morgensonne lag. Was würde geschehen, wenn sie einfach über diese Brücke spazierte? Immer öfter stellte sie sich diese Frage, obwohl sie wusste, dass sie Berthe nie im Stich lassen würde. Wie war es, dort draußen zu leben? Schöner? Leichter? Mühsamer? Sie hätte es zu gerne gewusst.
    »Nein, welch ein Glück. Genau zu Euch wollte ich!« Im ersten Augenblick wusste Ysée mit der Frau nichts anzufangen, die unter dem Torbogen herbeieilte und geradewegs auf sie zumarschierte. Das propere Wollkleid, die Flügelhaube, die Lederschuhe und der Umhang mit den modischen Tassein verrieten die Dienerin aus gutem Hause, und Ysée erkannte endlich Katelin wieder, die Magd der verstorbenen Mareike Cornelis.
    »Sicher wollt Ihr nicht zu mir, sondern zu Schwester Alaina«, vermutete sie. Die schwere Last an Katelins Arm sah nach einem Almosenkorb aus. Manche Bürger lohnten den Beginen ihre Nächstenliebe, indem sie dem Weingarten Nahrungsmittel oder andere Dinge des täglichen Bedarfs spendeten. »Aber nein.« Katelin hielt Ysée am Arm fest. »Wartet. Mein Herr möchte in Kontakt zu Euch treten. Er will wissen, ob Ihr des Lesens und Schreibens mächtig seid. Er habe vergessen, Euch seinen Dank für die Dienste zu sagen, die Ihr seiner armen Gemahlin geleistet habt. Er möchte dies in einem Brief tun.«
    »Das ist nicht nötig«, wehrte Ysée ab. Sie erinnerte sich ungern an den aufdringlichen Kaufmann und seine Fragen. Sie wollte ihn aus dem Gedächtnis streichen. »Ich habe meine Pflicht getan. Es ist nicht nötig, dass man mir dankt.«
    »Er tut, was er sagt«, erwiderte Katelin trocken. »Könnt Ihr lesen?«
    Ysée nickte stumm, und Katelin brachte unter ihrem Umhang ein zusammengerolltes Pergament zum Vorschein. Seidenband und Siegel verliehen ihm ein offizielles Aussehen. »Dann soll ich Euch sein

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