Beginenfeuer
könnt mich nicht zwingen, Eure Frau zu werden. Meine Schwestern werden mich erkennen. Sie leben in Abgeschiedenheit, aber ihre Aufgaben führen sie immer wieder unter die Bürger von Brügge.«
»Eine zufällige Ähnlichkeit mit einer bedauernswerten Novizin.«
»Und Dame Godelieve? Sie weiß, wer ich bin!«
»Hat sie es dir nicht gesagt? Sie war die Amme meiner geliebten ersten Gemahlin. Sie wird jeden Eid schwören, dass du eine arme Verwandte bist, die sie auf ihre alten Tage ins Haus genommen hat.«
Ysée erschauerte. Die Bruchstücke fügten sich zu einem verhängnisvollen Mosaik. Die erste Gemahlin, die geliebte Tochter, der Perlenschmuck. Dieser schreckliche Mann musste ihr Großvater sein!
»Du hast keinen Grund, mich abzulehnen, Kleine. Man wird dich um deinen Stand beneiden. Wenn du erst meinen Erben trägst, wirst du begreifen, dass ich nur dein Bestes will. Sieh her.« Er zog einen klobigen Ring mit einem viel zu großen roten Stein vom Finger. »Er gehört dir. Gib mir den Kuss, der unser Verlöbnis besiegelt. Du wirst es nicht bereuen.« Ysée wich angeekelt zurück. Der Abscheu auf ihren Zügen entlockte Piet Cornelis einen Fluch. Sein Gesicht verlor jede Freundlichkeit. Er stieß sie mit der Faust so grob von sich, dass sie gegen den Alkoven taumelte. Der zweite Hieb warf sie auf den Rücken.
»Ich werde dir zeigen, dass du einem Manne zu gehorchen hast, Mädchen«, hörte sie ihn keuchen.
Im selben Augenblick spürte sie, wie sich die Matratze unter einem zweiten, schweren Gewicht senkte. Grobe Hände suchten ihre Brüste und packten zu. Ysée stieß einen gellenden Schrei aus.
»Schweig! Du gehörst mir!«
Ysée schluchzte und verhedderte sich in blinder Verzweiflung in ihren Haaren und Kleidern. Die feuchten Strähnen klebten ihr im Gesicht, und als sie endlich wieder sehen konnte, erstarrte sie vor Entsetzen. Ihr Blick fiel auf das bedrohliche Geschlecht, das Cornelis soeben unter seinem Wams freilegte. Im gleichen Augenblick riss er an ihren Kleidern, und ein kühler Luftzug traf auf ihre bloße Haut. Brutal wurden ihr die Beine gespreizt. Sie war wie gelähmt und unfähig, sich zu wehren. Sie konnte weder dem Zugriff noch dem grauenvollen Schmerz entkommen.
Piet Cornelis ging mit der unmenschlichen Zielstrebigkeit eines Mannes vor, für den Frauen nur Mittel zum Zweck und Besitz sind. Als er endlich von Ysée abließ, kam wieder Leben in ihren Körper. Mit einem wilden Schrei sprang sie vom Alkoven. Sie hatte nur noch ein Ziel. Sie wollte nicht mehr leben. Sie rannte auf das offene Fenster zu, stolperte über die Truhe und stürzte hinaus.
M ATHIEU
Brügge, Freitagsmarkt, 20. November 1309
Odysseus war ein Destrier, ein schweres Streitross, das einen Ritter mit dem vollen Gewicht seiner Rüstung durch eine Schlacht tragen konnte. Es war Lärm und Geschrei gewohnt und ließ sich auch von Menschengetümmel nicht beeindrucken. Es hatte einen ausgiebigen Galopp, auf dem Treideldamm entlang in Richtung Damme, hinter sich. Jetzt ließ es sich von seinem Herrn gutmütig wie ein Zelter durch das Gewirr des Freitagsmarktes und die Gassen von Brügge zurück zur Burg führen. Weder kreischende Marktfrauen noch fluchende Lastenträger oder streitende Kinder konnten es aus der Ruhe bringen.
Mathieu hatte sich spontan entschlossen, Ross und Kopf ein gründliches Auslüften zu gönnen. Das Wetter hatte ein Einsehen mit ihnen gehabt, und nun waren sie beide zwar schlammbespritzt, aber nicht vom Regen durchweicht. Er zog die Zügel sacht an, um es in Richtung Heiliggeiststraße zu lenken. Die beeindruckende Baustelle, aus der die neue Kirche Zur Lieben Frau emporwuchs, war immer einen Umweg wert, aber schon an der Einmündung zur Zilverstraat gab es kein Weiterkommen. Zwei Lastkarren waren durch Ungeschick ihrer Lenker aneinander geraten. Säcke und Fässer rollten, Menschen schrien, und Odysseus schnaubte hörbar ungnädig. Die Verzögerung missfiel ihm, und sein Herr wechselte in eine kleinere Quergasse, um auf direktem Weg zur Burg zurückzukehren. Alle machten dem gewaltigen Schlachtross respektvoll Platz. Mathieu ließ sich von einem Pastetenverkäufer ablenken, der laut schreiend seine Ware anbot. Sein Magen knurrte, und er griff zum Beutel an seinem Gürtel.
Genau in diesem Augenblick wurde er so schwer an der Schulter getroffen, dass er fast aus dem Sattel fiel. Nur mit Mühe konnte er das scheuende Ross halten. »Zum Henker, was soll das?«
Mathieu sprang fluchend aus
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