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Beginenfeuer

Beginenfeuer

Titel: Beginenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Christen
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und versuchte sich zu fassen. Ihr war übel, und die Wände drehten sich vor ihren Augen. Lautes Krachen und deftige Flüche draußen vor dem Haus rissen sie aus ihrer Apathie. Ein Blick aus dem Fenster würde ihr vielleicht verraten, wo sie sich befand. Sie versuchte gerade den Haken zu öffnen, der die beiden Flügel verband, als die Alte mit einem reich gedeckten Brett wieder auftauchte. »Was macht Ihr, mein Kind? Warum seid Ihr nicht im Bett geblieben und habt gewartet?«
    »Ich will wissen, wo ich bin.«
    »Tststs, welche Ungeduld«, schüttelte sie den Kopf mit dem engen Gebende. »Hab ich’s Euch nicht gesagt? In Sicherheit seid Ihr. Mehr braucht Euch nicht zu kümmern. Esst und ruht Euch aus, dann werdet Ihr Euch gleich besser fühlen.«
    »Ich will in den Beginenhof zurück.«
    »Je nun, das wird nicht möglich sein«, erwiderte die Alte gelassen. »Ihr seid mein Gast. Warum esst Ihr nicht? Lasst Euch verwöhnen. Es ist ohnehin kaum etwas dran an Euch, Kind.«
    »Was soll ich hier?«, trotzte Ysée, obwohl ihr das Herz bis zum Halse schlug. »Ihr habt kein Recht, mich gegen meinen Willen festzuhalten. Wie bin ich überhaupt in Euer Haus gekommen? Ich kann mich an nichts erinnern.«
    »Man hat Euch zu mir gebracht, damit ich mich um Euch kümmere«, entgegnete die Alte unbeirrbar freundlich. »Ihr habt ein wenig Fürsorge nötig, schaut Euch doch nur an.« Ysée errötete. Erst jetzt nahm sie wahr, dass sie noch immer ihr Nachtgewand trug. Es sah schrecklich aus, schmutzig, eingerissen und schäbig. Ihre losen Haarsträhnen stanken nach kaltem Rauch, und die Füße unter dem Hemdsaum waren schwarz. Aber noch schlimmer als ihre beklagenswerte Erscheinung war die zunehmende Erinnerung an die Nacht des Brandes.
    »Nicht weinen«, sagte die Alte und tätschelte ihren Arm. Dann griff sie fester zu und zog sie energisch zum Tisch. »Erst werdet Ihr essen, danach sieht die Welt schon anders aus.« Vielleicht hatte sie Recht. Ysée löffelte die heiße Suppe, aß eine Pastete, die nach Äpfeln und geröstetem Schweinefleisch schmeckte, und tauchte frisches weißes Brot in ein Mus aus Honig und Birnen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so schmackhaft gegessen zu haben. Nicht einmal bei der Maestra im Kapitelhaus standen solche Delikatessen auf dem Tisch. Ihre Bewacherin beaufsichtigte die Mahlzeit mit mütterlicher Strenge und nickte beifällig, als Ysée bis zum letzten Löffel alles verzehrte. »Wir werden uns gut verstehen, Kind, wenn Ihr weiter so gehorcht.«
    Nun war sie zwar satt wie noch nie in ihrem Leben, aber die Angst blieb. Weshalb starrte sie die Frau mit diesen wissbegierigen Augen ununterbrochen an?
    »Ach, es ist ein Wunder, für das wir unserem Schöpfer nicht genügend danken können«, sagte die Greisin, während sie die leeren Schalen flink auf das Brett stapelte und Ysée dabei nicht aus den Augen ließ. »Man könnte meinen, unser Herrgott hat Euch nach demselben wunderschönen Plan geschaffen. Wenn Ihr erst ein Bad genommen und Euch geziemend gekleidet habt…«
    »Ich habe keine Kleider«, warf Ysée ein. »Es ist alles vorhanden, Kind«, winkte die Alte ab und griff nach dem Brett. »Nur das Beste ist gut genug für Euch. Ich hole Euch, wenn das Bad bereitet ist. Ich kann den Zuber nicht bewegen, er ist zu schwer. Und bemüht Euch nicht mit dem Fenster, es klemmt, wenn das Holz feucht ist. Solange dieser Regen dauert, bleibt es besser geschlossen. Ich beeile mich. Ich bin zu gespannt, wie Ihr dann aussehen werdet.« Sie redete und redete und war wieder verschwunden. Lässt dich mit süßen Speisen und dummem Geschwätz einlullen, statt deine Sache zu vertreten, rügte sich Ysée. Auch wenn ihr bisher hier nur Gutes widerfahren war, sie wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass sie sich in Gefahr befand.
    Zutiefst beunruhigt schob sie die Kissen auf der Truhe zur Seite und hockte sich auf das Holz. Sie wollte nichts beschmutzen. Sie zog die Füße an, schlang die Arme um die Knie und legte den schmerzenden Kopf darauf.
    Mit aller Macht versuchte sie sich an jeden einzelnen Augenblick der Brandnacht zu erinnern. Vielleicht fand sie ja einen Anhaltspunkt, eine Erklärung. Kaum dass sie die Lider gesenkt hatte, tauchte Bruder Simons hohe Gestalt, von lodernden Flammen umrahmt, vor ihr auf. Sie hörte seinen Ruf und sah den Knüppel, der ihn zu Boden streckte. Ysée hob den Kopf und biss sich in die Unterlippe. Hatten sie ihn getötet?
    Sie bemühte sich, das Zittern zu unterdrücken, das

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